Eltern-Irrtümer über Pubertierende
Pubertät, da sind sich Ratgeber einig, ist für die davon Betroffenen keine ganz leichte Zeit. So unsicher wie ihr pubertierendes Kind werden oft auch die Eltern und suchen in Erziehungsfragen bei anderen Eltern und Experten Rat. Doch ist der auch gut und teuer? „Nicht immer“, meint unser jugendlicher Autor, und räumt hier mit drei typischen Eltern-Irrtümern auf.
Irrtum Nummer 1: Abendliches Ausgehen: „Am sichersten ist es, Eltern holen das Kind zur vereinbarten Zeit selbst ab“
Abendliches Ausgehen und rechtzeitiges Heimkommen scheinen ein ewiges Streitthema zu sein, bei dem es beständig zu Konflikten kommt. So ist in Ratgebern zum Beispiel zu lesen, vereinbarte Zeiten würden von heranwachsenden Rabauken am besten eingehalten, wenn Eltern zur verabredeten Uhrzeit auf der Party aufkreuzen, um ihre Brut einzusammeln.
Tatsächlich wird man als nachtaktiver Jugendlicher des Öfteren Zeuge panischer Szenen: Wenn zum Beispiel 16-Jährige von ihren Eltern abgeholt werden und schon drei Stunden vor dem unheilvollen Augenblick ihren Mitmenschen mit angstgeweiteten Augen zuraunen: „Shit Leute, meine Eltern kommen gleich, was sollen die denn davon halten wie ich aussehe / drauf bin / Schlangenlinien laufe?“
Da soll einer die Eltern verstehen, die sich abends die Mühe machen, stundenlang gegen den Schlaf anzukämpfen, um den möchtegern-selbstständigen Nachwuchs um Mitternacht aus irgendeinem Schummer-Schuppen abzuholen. Denn wohin einer allein gefunden hat, von dort sollte er es auch umgekehrt wieder nach Hause schaffen, oder? Und außerdem wollen nicht nur Eltern freie Abende genießen, sondern die Teenager natürlich auch elternfreie!
Erziehung trotzdem gesichert!
Letztlich hat das ja sogar einen höheren „Lerneffekt“: Wenn die Halbstarken ausgeflogen sind und nicht damit rechnen können, dass ihre Eltern sie abholen werden, müssen sie sich zunächst den Weg einprägen und im Lauf des Abends verhindern, dass sie einen Zustand erreichen, in dem sie sich an den eingeprägten Weg nicht mehr erinnern können. Der Beweis der Unabhängigkeit ist vor Freunden und Eltern viel wichtiger, als man glaubt. Niemand will abgeholt werden („Muttersöhnchen“) oder abgeholt werden müssen („unreifes Kleinkind“).
Daher sollte man den abendlichen Heimtransport einfach bleiben lassen. Wenn Sohnemann oder Töchterlein aus eigener Dummheit die letzte Bahn verpasst und deswegen nach Hause laufen muss, hilft das der Erziehung mehr als ein wütendes Abholen durch geweckte Eltern. Sobald Jugendliche richtig flügge werden und woanders wohnen, sollten sie nämlich wissen, wie man aus jeder Situation eigenständig nach Hause kommt. Was hilft da mehr, als es vorher ein bisschen zu üben?
Irrtum Nummer 2: Jugendliche sind faul und helfen ungern im Haushalt mit
Angeblich, so liest man überall, leisten die Jugendlichen von heute ihren Eltern viel Widerstand, wollen nicht im Haushalt helfen und befinden sich durchgehend „chillend“ in ihrem Zimmer. Und tatsächlich: Sobald Mutter und Vater das Wagnis eingehen, die Schwelle zur entparentalisierten Zone zu überschreiten, um den Nachwuchs um einen Gefallen zu bitten, kriegen sie als Abfuhr „Boah nee ey, da hab ich grad mal meeega keinen Bock drauf!“ zu hören. Auch der darauf folgende Hinweis, wie lange der letzte Einsatz fürs Familienwohl bereits in der Vergangenheit liege, wird gern mit einem knappen „heul nicht“ abgeschmettert.
Doch mit Verweigerung, liebe Eltern, hat dies rein gar nichts zu tun. Merke: Wann immer Euer Pubertier(ender) so reagiert, ist es einfach der falsche Zeitpunkt für eine solche Bitte. Wie, Ihr meint, Euch könne man doch nicht vormachen, Eure Kinder säßen tagein tagaus über Hausaufgaben oder anderen sinnvollen Beschäftigungen, dass man ständig den falschen Moment für einen Gefallen erwischt?
So einfach aber ist es nicht. Denn häufig sieht man seinen Pubertierenden die Beschäftigung gar nicht an. Vielleicht ist der Nachwuchs gerade in ein spannendes Gespräch verwickelt, bei dem er nicht unterbrochen werden will (heutzutage nennt sich auch ein Chat „Gespräch“). Nur weil gerade keine Telefon-Stimme hörbar ist heißt das nicht, dass gerade keine Echtzeit-Unterhaltung stattfindet. Es ist schließlich genauso unhöflich, plötzlich offline zu gehen wie beim Telefonieren unerwartet aufzulegen.
Sogar Pubertierende denken nach!
Vielleicht denkt die Jugend auch gerade nach. Nachdenken ist ziemlich wichtig. Das heißt nicht, dass man als Teenager ständig über Kant und Schopenhauer sinniert und dabei keinesfalls gestört werden darf. Nein, während des Heranwachsens grübelt man über tausendmal wichtigere Dinge, wie zum Beispiel, ob die Tipps des besten Freundes zu Eroberung des Schwarmes tatsächlich Sinn ergeben und nicht einfach nur gut gemeint sind. Oder ob es klug war, auf Facebook seinen Beziehungsstatus in „verwitwet“ zu ändern, nur um der oder dem Ex eins auszuwischen. Und wer seine halbwüchsigen Kinder bei ihren Tagträumereien und Zukunftsplänen derb unterbricht, kann natürlich nicht damit rechnen, dass sie in der Laune sind, die Spülmaschine auszuräumen, die Wäsche aufzuhängen oder mit dem Hund raus in den Regen zu gehen.
Meistens haben Eltern aber Glück und erhalten ein abwimmelndes: „Jaja, mach ich gleich.“ Zwar heißt das noch lange nicht, dass nun tatsächlich etwas passiert. Aber immerhin dient diese abwesend dahingeworfene Antwort später gut als Diskussionsgrundlage und angesichts einer einmal erteilten Zusage kann sich nicht einmal ein „Pubertier“ dauerhaft vor einer Aufgabe drücken.
Irrtum Nummer 3: Wer mit seinem Pubertierenden in gutem Kontakt sein will, muss selbst jung bleiben, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein.
Was machte Eltern früher aus? Dass sie auf ihre Kinder wirkten wie jemand aus einer vergangenen Zeit. Einer Zeit der Schreibmaschinen und Telegramme, einer Epoche des Kalten Krieges. Sie sind Zeugen von Zuständen, die sich kein heutiger Teenager wirklich vorstellen kann.
Was macht Eltern heute aus? Dass sie dem vermeintlichen „Zeitgeist“ folgen, stets das neueste Smartphone besitzen, die aktuelle Mode tragen und keinerlei veraltete Denkweisen aus ihrer Zeit mehr vertreten, gegen die man sich wehren könnte.
Dabei braucht die heutige Jugend nichts dringender als einfach ganz „normale“ Eltern. Der Respekt vor Menschen, die ein Produkt ihrer Vergangenheit sind, die bereits vor der Geburt der heutigen Jugend ihre eigene, abenteuerliche und andere Reifezeit durchlebt haben, ist viel größer als vor solchen, die stets versuchen, die aktuelle Jugend zu sein, oder zumindest zu reden, zu denken und sich zu kleiden wie diese.
Eltern sind keine Freunde!
Kein Kind will seine Eltern als Freunde, deswegen sollten sie es auch lassen, sich so zu verhalten. Niemals wollte eine Generation als den Eltern ähnlich empfunden werden, doch heute ist dieser Vorsatz viel schwieriger umzusetzen. Man kann sich nur schlecht von dem Jugendwahn verfallenen Eltern in seiner Denkweise, in seinem Kleidungsstil oder in seinen Aktivitäten abgrenzen, so dass wenig anderes als die räumliche und emotionale Trennung möglich bleibt, um sich als eigene Person zu fühlen und als solche wahrgenommen zu werden.
Viele ziehen sich daher in ihr Zimmer zurück und verweigern jegliche Teilnahme am Familienleben. Was sollte ein Jugendlicher auch tun, wenn er nur noch in seinem eigenen Gebiet und mit der Durchsetzung seines Dickkopfes signalisieren kann, dass er eine eigenständig denkende und handelnde Person ist und nicht nur die Kopie seiner Eltern.
Es scheint, als sei diese Abgrenzung früher einfacher gewesen, schon allein die Mode schuf drastische Kontraste zwischen Alt und Jung. Heute muss man sich etwas anderes suchen, um diese Erneuerung zu schaffen. Ein Anfang wäre es, wenn Eltern sich auch als authentische Eltern, als „die Älteren“ sehen und geben würden, als eine Generation, deren Jugend nun einmal vorbei ist und die jetzt die neue Jugend sich entfalten lässt.