Hat mein Kind die falschen Freunde?
Der Sohn zieht mit einer Gang durch die Straßen, die Tochter und ihre schwarz gekleidete Goth-Clique könnten auch einem Horrorfilm entstammen – für viele Eltern ein Grund zur Sorge. Hat mein Kind die falschen, womöglich sogar gefährliche Freunde? Was tun? Sollen Eltern den Umgang verbieten oder lieber locker bleiben?
Pubertät: Der Einfluss der Eltern schwindet
Innerhalb weniger Wochen hat sich die 14-jährige Matty vom niedlichen Mädchen in einen schwarzen Schwan verwandelt – sehr zum Kummer ihrer Mutter. „Ich kenne mein kleines Mädchen nicht mehr. Seit sie in eine Goth-Clique geraten ist, läuft sie nur noch in Schwarz rum, mit Nieten und weiß geschminktem Gesicht. Sie kommt mir ganz fremd vor. Und jetzt will sie sich auch noch die Lippen piercen lassen“, klagt Greta Lerenz. Die Alleinerziehende macht sich große Sorgen: „Matty findet ihre neuen Freunde ganz toll und meint, dass endlich jemand sie verstehen würde. Aber ich weiß nicht, ob diese Freunde das Richtige für Matty sind. Denn sie wirkt oft traurig, lässt mich aber überhaupt nicht mehr an sich ran. Ich mache mir Sorgen, sie könnte an Satanisten geraten.“
Klarer Fall: Matty ist mitten in der Pubertät. Deshalb steht die Mutter für sie nicht mehr im Mittelpunkt. Wichtig sind jetzt die Freunde. Denn von ihnen fühlt sie sich verstanden und akzeptiert. Alle tragen die gleichen Klamotten, hören die gleiche Musik, stellen die gleichen Fragen an das Leben und haben die gleichen Probleme mit Eltern und Lehrern. Das verbindet.
„Und immer deine Freunde ...“
Gerade in der Pubertät, wenn die Unsicherheit und innere Zerrissenheit der Kinder scheinbar übermächtig werden, vermittelt die Clique das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie bildet eine sichere Basis für Selbsterprobung und die Abenteuer der Identitätsfindung. Aus diesem Grund sind für Jugendliche oft gerade Freunde, die ganz anders sind als sie selbst, besonders interessant. Und so zieht es das behütete Töchterlein oder den musterhaften Sohn zu Gangs, Goths oder anderen Gefährten, die in den Augen der Eltern wild und gefährlich wirken.
„Je mehr Eltern ihren Einfluss schwinden sehen, desto größer wird oft ihre Sorge, dass die Freunde, mit denen sich das eigene Kind umgibt, einen schädlichen Einfluss ausüben könnten“, erklärt Ulrich Gerth, Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsfragen. „Tatsächlich suchen viele Jugendliche in ihren Freunden unbewusst ein Gegenmodell zu ihren Eltern.“ Das habe, so Gerth, auch damit zu tun, dass die Diskrepanz zwischen Eltern und Jugendlichen heute nicht mehr so groß sei wie noch vor 30 Jahren. „Eltern wollen heute jung, modern und cool sein. Aber Teenager finden das nicht immer so toll. Schließlich wollen sie sich von ihren Eltern abgrenzen. Umgekehrt fürchten die Eltern, dass sich ihre Sprösslinge aus diesem Abgrenzungsbedürfnis heraus Extremen zuwenden: Drogen zum Beispiel, Sekten oder kriminellen Gangs.“
„Die passen nicht zu dir“, heißt es oft, wenn die Freunde der Kinder nicht ins gewünschte Raster passen und gepierct, tätowiert, mit rasierten Köpfen, rüder Sprache und ohne Manieren auftreten. Wenn Eltern sich an solchen Dingen stören, sollten sie auch einmal ihre eigenen Sichtweisen überdenken und sich fragen, was wohl die Mütter und Väter ihrer Jugendfreunde über sie gedacht haben. Vielleicht gehörten sie früher selbst zu denjenigen, vor denen ihre Eltern immer gewarnt hatten? Und weshalb genau glauben sie eigentlich, dass andere Jugendliche einen schlechten Einfluss auf den eigenen Nachwuchs haben? Vielleicht schwänzt die Tochter die Schule, weil sie keine Lust mehr darauf hat. Und dass sie sich mit Freunden umgibt, die ebenfalls eher seltener im Unterricht anzutreffen sind, ist vielleicht nicht die Ursache, sondern die Folge davon.
„Wir machen uns doch Sorgen...”
„Hinter der Sorge um die Pubertierenden steckt auch bei den Eltern eine große Unsicherheit und letztlich die Angst vor dem Verlust der Bindung: Sie müssen erkennen, dass sie weder das Leben ihrer Kinder kontrollieren noch diese vor Ungemach bewahren können“, meint Ulrich Gerth. „Sie müssen die Balance finden zwischen Halt geben und Loslassen. Denn auch wenn die Freunde plötzlich viel wichtiger erscheinen, suchen die Heranwachsenden immer auch noch die Geborgenheit der Familie.“
Keine leichte Aufgabe. Deshalb rät der Pädagoge Eltern, ihren Kindern Eigenständigkeit zugestehen und den Ball flach halten – auch wenn ihnen der Umgang der Sprösslinge nicht gefällt. Wichtiger als Kontrolle ist, dass die Eltern selbst Stabilität und Gelassenheit vorleben. Dabei hilft es, Distanz zu wahren und sich nicht in alle Konflikte verstricken zu lassen.
Freundschaften sind ein Teil des Reifungsprozesses, deshalb ist es wichtig, dass Kinder ihre eigenen Erfahrungen damit machen. Wenn Matty zu Beispiel erkennen muss, dass es auch unter ihren Goth-Freunden oberflächliche Egoisten gibt, die hinter ihrem Rücken über sie herziehen, wird sich die Begeisterung schnell wieder legen. Andere müssen vielleicht die Erfahrung machen, dass sie nicht jedem Freund grenzenlos vertrauen können, wenn der beste Kumpel weder geliehene CDs noch Geld je wieder zurückgibt.
Vorsichtig urteilen und mit dem Kind im Gespräch bleiben
„Was immer Sie von den Freunden Ihrer Kinder halten mögen: Bleiben Sie höflich und versuchen Sie ihnen offen und ohne Vorurteile zu begegnen, auch wenn der neue Boyfriend der Tochter Löcher in der Hose, Nasenpiercings und ein rotziges Benehmen zur Schau stellt“, rät Ulrich Gerth. „Denn wenn man ihnen mit offenem Misstrauen begegnet, verhalten sich Jugendliche oft so schlecht, wie man es von ihnen erwartet.“ Wer wirklich mehr über den Umgang seiner Kinder erfahren möchte, kommt nicht umhin, sich für deren Freunde zu interessieren. Was bedeutet Freundschaft für mein Kind? Warum sind gerade diese Freunde wichtig? Was schätzt das Kind an ihnen? Mit solchen Fragen signalisieren Eltern ihrem Kind, dass sie ihm und seiner Urteilsfähigkeit vertrauen.
Wenn Mütter und Väter sich positiv über die Freunde ihres Kindes äußern, finden sie auch mit Kritik besser Gehör. Dabei ist es jedoch ganz wichtig, die Freunde niemals als Person zu kritisieren und auf keinen Fall nach Gerüchten oder Äußerlichkeiten zu urteilen. Die eigene Meinung zu äußern oder Verhaltensweisen zu kritisieren, ist aber ok. Auch bei Konflikten zwischen den Sprösslingen und ihren Freunden, können Eltern das Gespräch und ihre Erfahrung anbieten, natürlich ohne sich aufzudrängen.
„Wo soll das alles enden...”
Was aber können Eltern tun, wenn die Freunde ihres Kindes tatsächlich gefährlich sind? Wenn sie Drogen nehmen oder zum Spaß Autos klauen? Oder wenn das Kind in eine Sekte oder in die Neonazi-Szene geraten ist?
In diesem Fall ist es wichtig, klar zu trennen: Wenn die Freunde Ihres Kindes Mist bauen, muss das noch nicht bedeuten, dass Ihr Kind aktiv daran beteiligt ist. „Eltern sollten sich vor allem darauf konzentrieren, was ihr Kind wirklich macht“, empfiehlt Ulrich Gerth. „Günstig ist, wenn das äußere Gerüst stimmt. Wenn das Kind die Schule besucht, seine Hausaufgaben erledigt und zur vereinbarten Zeit nach Hause kommt. Wenn es aber rechtsradikale Überzeugungen vertritt, Drogen nimmt oder gar schon von der Polizei aufgegriffen wurde, sollten sie sich Unterstützung holen.
Wichtig ist, dass die Eltern auch in dieser Situation mit ihrem Kind im Gespräch bleiben, ihm zeigen, dass sie es ernst nehmen und zuhören. Dabei sollten sie ihr Kind dann sachlich und möglichst unaufgeregt über die Gefahren aufklären und klar sagen, dass sie sich Sorgen machen. „Ein Gespräch über die Freunde sollte allerdings niemals im Rahmen einer Auseinandersetzung geführt werden“, warnt Ulrich Gerth. „Auch ein Umgangsverbot kann immer nur das letzte Mittel sein. Denn das treibt die Jugendlichen nur in eine Protesthaltung und die Treffen finden heimlich statt.“
„Wir wissen nicht mehr weiter...”
Wirkungsvoller können Gespräche mit anderen Freunden des Kindes sein. Andere Jugendliche sind oftmals ein gutes Korrektiv. Aber auch Sport oder soziales Engagement stärken das Selbstbewusstsein und können eine Basis für neue, ungefährliche Freundschaften sein. Ebenfalls eine Möglichkeit: ein Gespräch mit den Lehrern. Diese können Themen wie Drogen, Gewalt, Sekten auch einmal im Unterricht behandeln. Wenn dies nicht fruchtet, ist der Besuch bei einer Erziehungsberatungsstelle oder bei einer Drogen- oder Sektenberatung dringend zu empfehlen. „Jugendliche sind dazu überraschend oft bereit, sobald sie merken, dass man dort eine partnerschaftliche Gesprächskultur pflegt und sie mit ihren Anliegen ernst nimmt“, so Gerth.
Der beste Schutz vor „gefährlichen“ Freunden ist eine stabile, vertrauensvolle Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Denn wenn Kinder sich in der Familie geliebt und anerkannt fühlen und erfahren, dass ihre Sorgen und Probleme ernst genommen werden, neigen sie weniger zu „extremen“ Freundschaften. Deshalb ist es so immens wichtig, dass Eltern und Kinder miteinander im Gespräch bleiben – gleich, welche Freunde ins Haus kommen.
Zum Weiterlesen:
Jesper Juul: Pubertät - wenn Erziehen nicht mehr geht: Gelassen durch stürmische Zeiten. Kösel-Verlag, 16,95 Euro
Cathrin Kahlweit und George Deffner: Pubertäter: Wenn Kinder schwierig und Eltern unerträglich werden. Piper Taschenbuch, 8,99 Euro.
Jan-Uwe Rogge: Pubertät - Loslassen und Haltgeben, rororo, 9,99 Euro
Webtipps:
www.bke.de – der Fachverband der Erziehungs- und Familienberatung in Deutschland bietet Online-Beratung für Eltern (bke-Elternberatung.de) und Jugendliche (bke-jugendberatung.de)
Familienhandbuch – das Online-Handbuch des Bayrischen Familienministeriums und des Staatsinstituts für Frühpädagogik bietet Informationen rund um das Thema Pubertät
www.nummergegenkummer.de – umfassendes Beratungsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern.