Pauken in den Ferien

Was bringen Lerncamps für Schüler?

Mathe statt Mittelmeer. Während andere die Urlaubszeit genießen, büffeln immer mehr Kinder und Jugendliche in den Ferien, um ihre Schulnoten zu verbessern oder den Übertritt auf das Gymnasium zu schaffen. Lerncamps erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Was ist dran? Können ein paar Tage im Ferienkurs wirklich etwas bringen?

Autor: Sabine Ostmann

Ferienlerncamps versprechen Lernen mit Spaß

Schueler lernen im Freien
Foto: © Panthermedia.net / Kathi Neudert

„Wartet nur Bürschen, gleich hab ich euch...“. Marcelo stutzt. „Bürschen“ klingt doch irgendwie komisch. Aber wie schreibt man das jetzt? „Bürschchen“ vielleicht? Oder Bürschjen?“ Der Zehnjährige rauft sich die Haare. Aufsätze sind nicht seine Stärke und mit den Tücken der Rechtschreibung hat er auch zu kämpfen. Genau deshalb badet er auch nicht wie sein Freund Guido in der Adria, sondern muss im Lerncamp Aufsätze üben. Zwei Wochen lang. Puuuh!

„Das schafft er schon“, sagt seine Mutter Andrea. „Eigentlich ist Marcelo kein schlechter Schüler. Im Rechnen ist er sogar richtig klasse. Aber wenn es auf dem Gymnasium klappen soll, muss er beim Rechtschreiben und bei Aufsätzen noch etwas zulegen. Im Feriencamp kann er sich zwei Wochen lang darauf konzentrieren, das wird ihm nächstes Jahr sicher helfen“, ist sich die 37-Jährige sicher.

Versäumtes gezielt nachholen

Sprachtraining statt Strandurlaub – immer mehr Schüler pauken auch in den Ferien. Nicht immer ganz freiwillig, aber meist auch nicht ganz ohne Spaß an der Sache, wie die Anbieter so genannter Ferienlerncamps versichern. Anders als unterrichtsbegleitende Nachhilfe bieten Lerncamps die Möglichkeit, ein ganzes Schuljahr zu reflektieren und gezielt Lernstoff zu vertiefen oder Lücken zu schließen. Betreut von Lehrern, Referendaren, Lehramtsstudenten aus höheren Semestern – manchmal sind auch Sozialpädagogen dabei – arbeiten die Kinder und Jugendlichen Lerninhalte nach, die sie während des Schuljahres versäumt oder nicht verstanden haben, oder sie bereiten sich gezielt auf eine Prüfung vor.

Lerncamps gibt es für Schüler aller Altersgruppen und Schultypen. So unterschiedlich wie die Anbieter sind auch die pädagogischen Konzepte, die Gruppengrößen und -zusammensetzungen sowie das Angebot an Unterrichtsfächern und Schwerpunkten. Meist umfasst es Unterricht in den Hauptfächern, also in Deutsch, Mathe und Fremdsprachen, aber auch Theaterkurse oder eine Verbindung aus Schulunterricht und einem Handwerk. Daneben werden spezielle Kurse zur Prüfungsvorbereitung angeboten, zur Vorbereitung auf den Übertritt auf eine weiterführende Schule sowie Wahrnehmungs- und Methodentrainings.

Sportliche und kreative Freizeitangebote

Einige Veranstalter vermitteln in den Ferienkursen gezielt Lern- und Merktechniken und geben damit den Schülern langfristig Hilfe zur Selbsthilfe. Trainings von Schulen oder kommunalen Trägern finden meist vor Ort statt; freie Anbieter veranstalten ihre Ferienkurse in Ferienregionen im In- und Ausland. Das Ganze läuft dann ab wie eine Mischung aus Schullandheim und Ferienlager: Vormittags wird in kleinen Gruppen gelernt, nachmittags wartet ein umfangreiches Freizeitprogramm mit sportlichen und kreativen Angeboten.

Das Freizeitprogramm ist, zumindest aus Sicht der Schüler, mindestens so wichtig wie der Unterricht: „Auf den Unterricht hatte ich erst gar keine Lust“, meint Marcelo. „Aber nachmittags war es toll. Da waren wir baden und klettern und konnten sogar auf richtig großen Pferden reiten. Das Freizeitprogramm erfüllt aber auch unter pädagogischen Gesichtspunkten eine wichtige Funktion: Sport und Kreativworkshops schaffen einen Ausgleich zum Lernen am Vormittag. Die Kinder werden motiviert, Neues auszuprobieren und trainieren beispielsweise beim Klettern, in der Theatergruppe oder beim Segeln Selbstbewusstsein und Teamfähigkeit.

 

Zusatzration Bildung oder zusätzlicher Stress?

Schafft mein Kind das Abitur? Ist es den Anforderungen in der Schule gewachsen? Kommt es mit dem Lerntempo klar? Droht es den Anschluss zu verlieren? Der Wettbewerbsdruck bereitet vielen Eltern schlaflose Nächte. Schon Eltern von Grundschulkindern plagt die Sorge, der Sprössling könnte es womöglich nicht aufs Gymnasium schaffen. Und sogar Eltern von Kindern, die eigentlich gar keine schlechten Schüler sind, lassen vielfach keine Chance aus, noch ein Quäntchen mehr an schulischem Erfolg aus ihren Kindern herauszuholen oder ihnen Wissensvorsprünge zu verschaffen. So wie bei Marcelo: Der kleine Mathe-Crack soll auch in Deutsch zu den Besten gehören.

Sind Lerncamps hier wirklich eine vernünftige Lösung? Verbessert eine wohldosierte Zusatzration Bildung in den Ferien die Zukunftschancen? Oder wird den Kids damit eine dringend nötige Ruhepause genommen? Experten wie Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), betrachten Lerncamps eher kritisch: „Kinder müssen unbeschwert Kinder sein dürfen. Sie brauchen Zeit für sich, um die Welt nach ihrem Fahrplan zu erkunden. Schulferien sind deshalb wichtige Ruhepausen. Lernzwänge, die Freizeit beschneiden, können dann sehr schnell das Gegenteil bewirken. Eigentlich müsste unser Schulsystem gewährleisten, dass alle Kinder nach ihren Begabungen und Neigungen individuell gefördert und gefordert werden, damit weder Nachhilfe noch Lerncamps nötig würden.“ Müssen Schüler in den Ferienlernkursen die Defizite unseres Schulsystems ausbaden? So sieht es jedenfalls die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „Die Politik sollte die Schulen besser ausstatten, damit es auch ohne Ferienprogramme geht, die sich gerade sozial schlechter gestellte Familien kaum leisten können.“

Eine neue Erfahrung: Lernen macht Spaß

„Lernen bedeutet nicht automatisch Leiden“, wendet die Pädagogin Johanna Meistner ein. „Kinder lernen gerne – und damit sollten sie in den Ferien auch nicht aufhören.“ Vielmehr sei entscheidend, dass sie Spaß dabei haben. Das sei gerade in Lerncamps eher gegeben als im Alltag oder Zuhause, so Meistner. „Der Abstand zum Schulalltag verändert die Lernatmosphäre. In den ersten Tagen sind die Kinder natürlich oft skeptisch, besonders dann, wenn ihre Eltern starken Druck auf sie ausüben. Doch wenn sie erst einmal gemerkt haben, dass im Lerncamp der Spaß an der Sache im Vordergrund steht, sind sie gleich viel relaxter. Sie legen dann oft eine erstaunliche Ausdauer an den Tag, können sich besser konzentrieren und gehen motivierter an den Lernstoff heran. Oftmals helfen sie sich untereinander und stacheln sich gegenseitig an. So machen sie eine ganz wichtige Erfahrung: Sie erleben, dass Lernen auch anders funktionieren kann als unter Druck und Stress in der Schule – eben, dass es Spaß machen kann.“

Druck bringt gar nichts

Diese Einschätzung teilt auch Christiane Konnertz, Gründerin des LernTeams, das Ferienlerncamps anbietet: „Viele Kinder, die in der Schule häufig Frust erfahren, merken auf einmal, dass sie sehr wohl einiges können. Das fördert die Freude am Lernen“ erklärt Konnertz. Für uns ist das ein ganz wichtiges Lernziel: die Kinder zu motivieren, sich auch bei Dingen anzustrengen, die sie nicht so gut können.“ Dennoch warnt die Lern-Trainerin vor überzogenen Erwartungen. „Eine Erfolgsgarantie können und wollen wir nicht geben. Wie erfolgreich ein Lerncamp ist, hängt stark davon ab, ob ein Kind gerne kommt. Überhöhte Ansprüche seitens der Eltern sind kontraproduktiv. Gerade beim Lernen in den Ferien sollte der Spaß im Vordergrund stehen.“ Ganz wichtig sei auch, wie es nach dem Lerncamp weitergeht: Motivieren Eltern ihr Kind oder setzen sie es unter Druck? Loben sie es auch für kleine Fortschritte? „Das ist für den langfristigen Erfolg ganz wichtig.“


Lerncamps: Worauf Eltern achten sollten

Nicht für jedes Kind ist ein Aufenthalt im Lerncamp hilfreich und sinnvoll. Auch bei der Wahl eines geeigneten Ferientrainings sollten Eltern einige Fragen stellen. Das gilt es zu beachten:

 

  • Ist ein Lerncamp überhaupt sinnvoll für mein Kind? Wenn die Defizite zu groß sind und möglicherweise eher darauf beruhen, dass das Kind die falsche Schulform besucht, bringt auch ein Lerncamp nichts.
  • Was soll das Lerncamp überhaupt bringen? Sollen Wissenslücken geschlossen werden? Steht eine Prüfung an? Oder soll das Kind effektive Lernmethoden kennen lernen? Solche Fragen lassen sich im Gespräch mit den Lehrern klären.
  • Sieht das Kind die Notwendigkeit ein? Kinder und Jugendliche, die gegen ihren Willen in ein Ferienlerncamp „abgeschoben“ werden, gehen nicht mit Motivation an die Sache, sondern reagieren trotzig und abweisend.
  • Werden im Lerncamp individuelle Lernbedürfnisse berücksichtigt?
  • Welche Unterlagen stellt der Anbieter zur Verfügung: Informieren diese ausreichend über das Programm? Finden im Vorfeld Gespräche über die Stärken und Schwächen des Kindes sowie über Lernziele statt? Welche Versprechungen macht der Anbieter?
  • Wie sieht das pädagogische Konzept aus? Werden auch Lernmethoden vermittelt?
  • Wie groß sind die Lerngruppen?
  • Wie qualifiziert sind die Lehrer und Betreuer? Welche Erfahrungen und Qualifikation bringen sie mit?
  • Wie sieht das Freizeitprogramm aus? Ist es altersgerecht? Gibt es sowohl sportliche als auch kreative Angebote?
  • Wie sind die Kinder untergebracht?
  • Findet am Ende des Kurses ein abschließendes Gespräch statt?
  • Stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis?

 

Anbieter und Kosten

Lerncamps werden häufig von privaten Unterrichts- und Nachhilfeinstituten, Sprachreiseveranstaltern, aber auch von Bundesländern, kommunalen Trägern oder einzelnen Schulen veranstaltet – die Kosten fallen je nach Angebot sehr unterschiedlich aus. Kommerzielle Anbieter veranstalten Feriencamps oft in reizvollen Urlaubsregionen im In- und Ausland und bieten ein umfangreiches Freizeitprogramm. Die Unterbringung erfolgt in der Regel in Jugendherbergen, Schullandheimen o.ä. Die Angebote öffentlicher Träger konzentrieren sich vorwiegend auf die Lerninhalte; mitunter gibt es auch ein zusätzliches Freizeitprogramm. Informationen dazu geben Schulen, Schulämter und/oder Kultusministerien.

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