Zeugnisse: Was tun bei schlechten Schulnoten?
Das Schuljahr oder auch nur das Hhalbjahr gehen zu Ende, jetzt ist wieder die Zeit der Zeugnisse. Schlechte Noten in der Schule machen Kinder traurig und Eltern manchmal ratlos oder sogar wütend. Ein Schulpsychologe rät zur Besonnenheit.
Zeugnistag: Die Angst vor schlechten Noten
An diesem Tag gehen viele Kinder und Jugendliche mit einem beklemmenden Gefühl in die Schule: Die Zeugnisse werden verteilt. Auch wenn sie vorher schon wussten, dass es in diesem Halbjahr nicht so klasse gelaufen ist, spätestens jetzt lassen sich die Noten vor den Eltern nicht mehr verheimlichen. Vor dem, was sich zu Hause angesichts der schlechten Schulleistungen abspielen wird, graut es ihnen - Streit, Ärger, Verbote ... Außerdem sind schwarz auf weiß so manche Hoffnungen zerstört, dass der Lehrer vielleicht doch noch ein Auge zudrückt und eine Vier gibt.
Heute gelten mehr denn je gute Noten als sichtbarer Beweis für Erfolg und Intelligenz: Wenn also ein Kind bescheinigt bekommt, dass seine Leistungen "mangelhaft" sind, bezieht es das leicht auf seine gesamte Person und sieht sich schnell als Versager. Hinzu kommt das Gefühl, die Eltern enttäuscht zu haben. Das zeigen auch die unzähligen Anrufe von verzweifelten Kindern, die zweimal im Jahr bei der Hotline des zum Kinderschutzbund gehörenden Vereins "Nummer gegen Kummer" eingehen. Das Angebot richtet sich an Kinder, Jugendliche sowie Eltern und steht Hilfesuchenden anonym und kostenlos zur Verfügung.
Schlechte Noten: Trösten statt Strafen
Klaus Kuhlmann, Schulpsychologe beim Kölner Zentrum für Schülerförderung, Bildungsberatung und Schulpsychologie wundert sich immer wieder über den Überraschungseffekt, den schlechte Zeugnisnoten anscheinend auf viele Eltern ausüben. "Die Noten sind doch fast immer schon vorher bekannt und die Eltern könnten sie auch schon wissen. Denn jede Lehrkraft hat in der Woche eine Sprechstunde, wenn die Eltern wollen, könnten sie sich immer über den Leistungsstand ihres Kindes informieren", meint der Experte. Wenn Eltern dann unvorbereitet aber das schlechte Zeugnis zu sehen bekommen, dann sollten sie vor allem eines tun: Das Kind trösten.
"Ich habe noch kein Kind erlebt, das gerne schlechte Noten haben möchte. Auch wenn manche ganz cool wirken, sie sind alle geknickt", weiß Klaus Kuhlmann. Hausarrest, Taschengeldentzug, Fernsehverbot bringen überhaupt nichts, so der Schulpsychologe: " Strafen sind unangebracht. Kinder sind zum Teil sogar dankbar, wenn sie bestraft werden. Dann richtet sich die Wut und der Ärger gegen die Eltern, die eigenen Schuldgefühle sind aber weg. Das verstellt den Blick auf die Ursachen des Schulversagens." Die Gründe müssen aber erkannt werden, damit die Schulleistungen wieder besser werden können.
Gute Noten: Geld und Geschenke nicht sinnvoll
Was ist denn eigentlich mit den Schülern, die in vielen Fächern Einser und Zweier haben? Spricht denn keiner über gute Schüler? Sollen sie belohnt werden? "Eigentlich ist es Belohnung genug, wenn die Eltern sich über die guten Noten freuen und ihren Kindern das auch zeigen", meint der Schulpsychologe.
Von Geld und anderen Zuwendungen hält er nicht viel: "Wenn das Kind dann keine guten Noten mehr schreibt, ist es ja doppelt gestraft: Es hat schlechte Noten, über die es traurig ist, und bekommt keine Belohnung mehr."
Schlechtes Zeugnis: Gründe für Schulversagen suchen
Schlechte schulische Leistungen können viele Gründe haben. Da ist zum Beispiel die Verweigerungshaltung gegenüber den Eltern. Die Kinder wollen von sich aus gut in der Schule sein. Gleichzeitig wird das aber auch von den Eltern verlangt. "Halb tun sie es, halb tun sie es nicht", so Kuhlmann und rät: "Eltern lasst die Finger von der Schule, aber tut etwas mit den Kindern. Nehmt euch Zeit für sie." Viele Kinder bringen schlechte Noten auch mit Liebesentzug der Eltern in Verbindung. Das erzeugt Druck und unter eben diesem lässt sich bekanntlich schlecht lernen.
Ein schlechtes Zeugnis kann aber auch Indiz dafür sein, dass das Kind auf die falsche Schule geht. Vielleicht wäre es besser auf der Realschule oder der Gesamtschule als auf dem Gymnasium aufgehoben? Einige Eltern sehen zum Teil nicht, dass sie an den schlechten Leistungen ihres Kindes mitbeteiligt sind.
Sei es, dass sie das Kind unglaublich unter Lerndruck setzen, trotz anderer Grundschulempfehlung ihren Sprössling doch aufs Gymnasium geschickt oder bestimmte Lerndefizite nicht früh genug erkannt haben. "Viele Eltern schieben die Schuld auf die Lehrer oder die Faulheit ihres Kindes. Vielleicht sollten sie sich mal die Frage stellen, ob sie selbst dem Kind das Lernen vermiest haben oder nachforschen, warum das Kind eigentlich faul ist", gibt Kuhlmann zu Bedenken.
Auch Lehrer können irren
Der Experte räumt ein, dass manche Lehrer Gründe für ein Schulversagen falsch deuten. Urteile wie "Dieses Kind ist so schlecht, weil es so unruhig ist" oder "Dieses Kind ist so schlecht, weil es so verträumt ist", sind für Schüler und Eltern meist wenig hilfreich, die Schule wieder in den Griff zu bekommen.
Kuhlmann gibt ein Beispiel aus der Praxis: "Eine Hauptschule schickte in unseren Dienst einen schulbekannten Schläger. Ich fragte ihn, warum schlägst du? Seine Antwort: Weil es so schön ist, auf jemandem zu liegen. Es ist so warm. Danach sind die Lehrer ganz anders mit ihm umgegangen, weil sie jetzt Mitleid mit ihm hatten."
Probleme in der Familie verantwortlich
Scheidung der Eltern, Arbeitslosigkeit, Alkoholsucht oder andere Probleme im familiären Bereich können natürlich auch ein Absacken in der Schule verursachen. Aus seiner Erfahrung im schulpsychologischen Dienst weiß Kuhlmann, dass Kinder und Jugendliche vielfach aber auch nicht gelernt haben, für eine bestimmte Sache zu kämpfen, sich bestimmte Dinge zu erarbeiten.
Zu schnell käme die Antwort: "Das kann ich nicht", ohne es vorher probiert zu haben. Schüler, die beispielsweise schlechte Noten in Mathe schreiben, müssten nicht unbedingt eine Mathematikschwäche haben – möglicherweise haben sie nur frühzeitig kapituliert. Wenig förderlich sind dann Äußerungen der Eltern: "Ach, in Mathe war ich auch schlecht."
Gesellschaft setzt Kinder unter Druck
Ebenso sei zu beobachten, dass Schüler kein Risiko mehr eingehen. Kuhlmann erklärt: "Sie kassieren lieber eine schlechte Note dafür, dass sie erst gar nicht versucht haben, eine Aufgabe zu lösen, als dafür, dass sie die Aufgabe falsch gelöst haben." Hierfür macht der Schulpsychologe gesellschaftliche Entwicklungen verantwortlich: "Es gibt nur noch Gewinner und Verlierer. Wenn ich nicht so sein kann wie Boris Becker, dann probier ich es erst gar nicht."
Um dem entgegen zu wirken, sollten Eltern ihren Kindern beibringen, Dinge auszuprobieren, die sie an ihre Grenzen stoßen lassen. "Man kann doch zum Beispiel versuchen, ein schwieriges Kreuzworträtsel zu lösen, auch wenn man glaubt, es sei zu kompliziert. Es geht ums Ausprobieren, nicht ums Siegen oder Verlieren."