Wie die Werbung Kinder lockt
Die Tochter besteht auf Markenklamotten, der Sohn braucht ein Smartphone, alles andere ist uncool. Und der Jüngste quengelt nach Schokolade mit Dino-Bildchen, die er im TV gesehen hat. Als Eltern können Sie nicht früh genug damit beginnen, Ihrem Nachwuchs eine kritische Distanz zu den verlockenden Botschaften zu vermitteln.
Kinder und Werbung: Haben wollen!
Beim Konsum spielen unsere Kinder ganz vorne mit: Süßigkeiten, Spielzeug, Markenklamotten, Unterhaltung – kauf mir dies, schenk mir jenes. Zu viel ist nicht genug. Schon Sechsjährige wünschen sich ein Handy zum Geburtstag und zwar nicht irgendeines, sondern das neue, coole aus der aktuellen Werbung. Wundern muss uns dieses Verhalten nicht: Schließlich leben wir Erwachsenen unserem Nachwuchs mehr oder weniger ungehemmten Konsum vor. Und ebenso wie bei uns weckt Werbung auch bei Kindern Wünsche.
Kinder als Zielgruppe und Werbebotschafter
Für die Werbewirtschaft sind unsere Sprösslinge hochinteressant. Schließlich sind sie ganz schön kaufkräftig. Rund 4,5 Milliarden Euro können 6- bis 13-Jährige in Deutschland im Jahr ausgeben, so die Kids-Verbraucheranalyse des Egmont Ehapa Verlags 2010. Außerdem haben Studien gezeigt, dass Kinder einen großen Einfluss darauf haben, welche Produkte ins Haus kommen – vom Brotaufstrich bis hin zum Auto. Der Zentralverband der Werbewirtschaft hat ermittelt, dass 23 Prozent der Kinder Lebensmittel für die Familie kaufen und Produkte selbst auswählen dürfen; 79 Prozent entscheiden, welche Kleidung sie tragen. Wer schon als Kind den Schokoaufstrich xy in der Familie durchgesetzt hat, wird ihn auch als Erwachsener bevorzugen. „Frühe Markenbindung" nennen das die Werbestrategen – und arbeiten intensiv daran, die Kunden von morgen so früh wie möglich auf ihre Produkte einzunorden.
Übrigens: Kinder sind nicht nur eine wichtige Zielgruppe. Die Werbeindustrie nutzt sie auch als Werbebotschafter für „Erwachsenenprodukte". Für Nahrungsmittel zum Beispiel, Putzutensilien oder Autos. Rosige Kinderwangen und große Kulleraugen – das Kindchenschema funktioniert immer und Werbung mit Emotionen verkauft einfach besser.
Werbung mit Kindern: Bunte Bilder und TV-Helden
Werbung ist überall. Sie begegnet uns auf Plakaten, in Zeitschriften, im Internet und vor allem im Fernsehen. 20 Prozent aller Werbung richtet sich mittlerweile an Kinder. Zwar werden Internet und Soziale Medien von Kindern und Jugendlichen immer intensiver genutzt, doch die meiste Werbung sehen sie im TV: Bei einem täglichen Fernsehkonsum von durchschnittlich 98 Minuten werden sie nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin mit 20.000 bis 40.000 Spots pro Jahr konfrontiert.
Gut gemachte, vielleicht auch witzige Werbung weckt Aufmerksamkeit, ist sie langweilig, schalten wir ab. Unseren Kindern geht es genauso. Nur ist Werbung für sie noch etwas bunter. Lustige, kurze Clips setzen auf eingängige Musik, coole Sprüche und kleine Geschichten. Gerne genutzt wird auch die Möglichkeit, Gimmicks oder Punkte für „Geschenke" zu sammeln. Beliebte Zugpferde für Werbebotschaften sind vertraute Figuren aus Kindergeschichten und Comics oder Helden aus Filmen und angesagten TV-Serien. Seit Harry Potter spielen auch Fantasy und die Welt der Magie eine wichtige Rolle. Problematisch wird dies spätestens dann, wenn sich die Werbespots kaum noch von Filmbeiträgen unterscheiden.
Dass Reklame mit beliebten Figuren bei Kindern einen starken Eindruck hinterlässt, machen sich nicht zuletzt auch Lebensmittelunternehmen zunutze: "Das Vertrauen der Kinder in ihre Lieblinge wird ausgenutzt, um ihnen möglichst viel Süßes und fettreiche Nahrung zu verkaufen", so Oliver Huizinga, Experte für Kindermarketing bei Foodwatch. Der Lebensmittelverein kritisiert zudem auf Basis seiner aktuellen Studie vom Sommer 2015, dass sich die in 2007 beschlossene freiwillige Selbstverpflichtung vieler Unternehmen, nur noch Produkte für Kinder zu bewerben, die bestimmte Nährwertanforderungen erfüllen, als wirkungslos erwiesen habe. Demnach sollten 90 Prozent von insgesamt 281 Produkten der Firmen mit großen Namen wie Kellog's oder Danone nach Meinung von Gesundheitsexperten besser nicht an Kinder vermarktet werden.
Bemerkenswert ist auch die klare Geschlechterdifferenzierung: Spots für Mädchen setzen auf ruhige Musik, langsame Schnitte und Kulissen in Rosarot; Werbung für Jungs arbeitet mit dunkleren Farben, Action und schnellen Schnitte. Vor allem aber dürfen keine Mädchen darin vorkommen. Oft liefern die Spots den Youngstern auch kindgerecht verpackte Argumente, um den Kaufwunsch gegenüber den Eltern zu begründen – ein guter Grund, sich Werbung für Kinder genau anzusehen.
Wie wirkt Werbung? Eine Frage des Alters
Wie wirkt Werbung auf Kinder? Das hängt stark vom Alter ab. Jüngere Kinder lassen sich leicht faszinieren und reagieren sehr direkt darauf: Werbung für Süßigkeiten löst bei ihnen sofort den Haben-will-Reflex aus. Erst ab sechs Jahren können sie TV-Werbung überhaupt als solche erkennen und von redaktionellen Beiträgen unterscheiden. Deshalb müssen TV-Spots für Vorschulkinder klar und deutlich mit dem Hinweis „Jetzt kommt Werbung" versehen werden.
Im Alter zwischen sechs und zehn Jahren sind Kinder besonders aufnahmefähig und haben großes Interesse an neuen Dingen. Gleichzeitig entwickelt sich in diesem Alter auch das Bewusstsein darüber, was Werbung bezweckt, und die Kinder beginnen, Werbebotschaften kritisch zu hinterfragen. Macht das neue Spiel wirklich so viel Spaß, wie behauptet? Schmeckt der Joghurt wirklich so fruchtig, wie es die Werbung versprochen hat? Schon Acht- bis Zehnjährige erweisen sich als kritische Konsumenten, die ein Produkt nur dann wieder kaufen, wenn es hält, was es verspricht.
Subtilere Werbeformen, etwa Imagewerbung, die nicht ein konkretes Produkt, sondern ein Lebensgefühl in den Vordergrund rückt, vermögen erst Zehn- bis Zwölfjährige langsam zu durchschauen. Das gilt auch für Werbung im Internet – sie ist für Kinder und Jugendliche viel schwieriger zu identifizieren als TV-Spots oder Anzeigen in Zeitschriften. Der Grund: Werbebanner sind auf den bunt und wimmelig aufgemachten Kinderseiten kaum von redaktionellen Inhalten zu unterscheiden. Außerdem tarnt sich Werbung hier oft als Gewinnspiel oder als „Kids-Club".
Ebenso problematisch sind Computerspiele, in denen Produkte von „Sponsoren" vorkommen oder das allgegenwärtige Product Placement in TV-Serien. Das Perfide daran: Auf den ersten Blick wird hier gar nichts verkauft. Doch die Marken sollen sich einprägen. Und wenn ein Sportler oder ein „Superstar" eine bestimmte Jeans trägt, wird diese schnell zur Kultklamotte, die jeder haben muss. Dafür sorgt schon der Druck der Clique oder der Klassenkameraden. Was Gleichaltrige über ein Produkt oder eine Marke denken, ist bei Jugendlichen viel maßgeblicher als die Werbung selbst.
Wie viel Werbung ist erlaubt?
Um Kinder und Jugendliche vor zu viel und zu manipulativer Werbung zu schützen, hat der Gesetzgeber Regeln aufgestellt.
- Grundsätzlich soll Werbung den Interessen von Kindern und Jugendlichen nicht schaden. Vor allem darf sie nicht direkt zum Kauf oder Konsum auffordern.
- Im Fernsehen muss Werbung optisch und akustisch vom Programm getrennt werden. Bei Kindersendungen ist Werbung nur zwischen den Filmen gestattet. Diese Regel wird allerdings gerne umgangen, indem die Sender die Filme in kurze Episoden aufteilen.
- Für Produkte, die Thema einer Kindersendung sind, sollten weder vor noch nach der entsprechenden Sendung Werbespots geschaltet werden. Diese Regel wird oftmals durch Product Placement aufgeweicht.
Wenn Eltern ein Verstoß gegen die Werberegeln bei Kinderprogrammen auffällt, können sie sich beim Werberat beschweren.
Brauchen Kinder Schutz vor Werbung?
Viele Eltern fürchten, dass Werbung Kinder manipuliert und zu einem exzessiven Konsumverhalten verführt. Stefan Aufenanger, Professor für Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik an der Uni Mainz hält die Wirkung von Werbung auf Kinder für überschätzt. Werbung, so Aufenanger, sei einfach ein Teil unserer Gesellschaft und der Medien. Statt Kinder von Werbung fernzuhalten – und so erst recht ihr Interesse dafür zu wecken –, sei es sinnvoller, Kinder bei der Entwicklung von Medienkompetenz und Kritikfähigkeit zu unterstützen: „Je mehr Kinder darüber wissen, was Werbung will und mit welchen Tricks sie arbeitet, umso kritischer sehen sie Werbebotschaften."
So werden Ihre Kinder kritische (Werbe-)Konsumenten
Am besten lernen Kinder die Mechanismen von Werbung kennen, wenn sie selbst – beispielsweise im Rahmen des Schulunterrichts – Werbespots oder andere Werbematerialien entwerfen. Aber auch Eltern können ihren Kindern einen kritischen Umgang mit der bunten Reklamewelt nahe bringen. Beim Einkaufen im Supermarkt können sie zum Beispiel ansprechen, was mit Zucker aufgepeppter Fruchtsaft mit Gesundheit zu tun haben soll, warum teure Waren meistens da liegen, wo man automatisch zuerst hingreift, weshalb in so mancher großen Verpackung vor allem viel Luft drin ist, und wie viel es kostet, bis die neue Fußballbildchen-Sammel-Serie endlich komplett ist.
Was Sie noch tun können:
- Gehen Sie selbst kritisch mit Werbeversprechen um. Vermitteln Sie Ihrem Kind, nach welchen Kriterien Sie Kaufentscheidungen treffen.
- Nehmen Sie Anteil an den Themen und Medien, für die sich Ihr Kind interessiert.
- Diskutieren Sie mit Ihrem Kind darüber, was Werbung bezweckt und wie sie funktioniert.
- Sprechen Sie mit Ihrem Kind über seine Wünsche. Versuchen Sie herauszufinden, wo diese herrühren. Sind es Herzenswünsche, durch Werbung ausgelöste Impulse, oder steckt vielleicht Gruppenzwang dahinter, wenn es statt der günstigen Hose die teure Markenjeans sein muss? Stärken Sie die Individualität und Selbstsicherheit Ihres Kindes, damit es auch ohne Markenprodukte selbstbewusst auftreten kann.
- Trauen Sie Ihrem Kind Kaufentscheidungen zu. Von seinem Taschengeld sollte es sich kaufen dürfen, was es möchte – so lange sein Geld reicht. So lernt Ihr Kind auch den Umgang mit Geld.
- Geben Sie größeren oder teureren Wünschen Zeit zum Reifen – bis zum Geburtstag oder bis Weihnachten. Vielleicht hat sich der Wunsch bis dahin auch schon wieder erledigt. Oder verlangen Sie, dass sich ihr Kind mit einem angemessenen Betrag daran beteiligt. So kann es überlegen, ob das Begehrte wirklich wichtig genug ist.
Zugegeben: Mit Kindern und Jugendlichen über Konsumverhalten zu diskutieren und bei manchen Wünschen resistent zu bleiben, kann ganz schön mühevoll sein. Doch langfristig lohnt es sich: Sie werden zusammen einkaufen gehen, ohne dass jedes Mal Süßigkeiten oder Glitzerstifte mit im Korb landen – und das ohne Gequengel. Und über das neue Handy oder das Budget für Kleidung können Sie auch miteinander sprechen, ohne dass das Familienbudget überstrapaziert oder der Familienfrieden gefährdet ist.
Eltern sind die wichtigsten Konsumvorbilder
Sie können gemeinsam mit Ihrem Nachwuchs das Kinderprogramm ansehen, Jugendzeitschriften durchblättern oder Webseiten betrachten. Sie können mit Ihren Kindern darüber sprechen, was diese cool finden, was ihnen an Werbespots gefällt und was nicht. Sie können über Werbetricks und Botschaften diskutieren und ihrem Kind helfen, echte Wünsche von suggerierten zu unterscheiden. Aber das bringt nur etwas, wenn Sie selbst kritisch mit Werbung umgehen und ein bewusstes Konsumverhalten vorleben. Sie sind das Vorbild für Ihre Kinder.
Zum Weiterlesen:
- Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit: Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können. Pantheon Verlag, 14,90 Euro.
- Frank Koschembar, Der Vampir-Effekt. Wie Kinderwerbung wirkt. Westend Verlag, 7,95 Euro.
Weblinks:
- http://kinderseite.kinderkampagne.de – Kindgerecht aufgemachte Informationen zum Thema Werbung vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (vzbv)
- www.mediasmart.de – Umfangreiche Informationen und (Unterrichts-) Materialien für Kinder, Eltern und Lehrer. Media Smart ist ein internationales Projekt zur Förderung der Medien- und Werbekompetenz von Kindern; beteiligt sind u. a. auch Werbetreibende.
- www.werberat.de – Website des Deutschen Werberates. Die vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. eingerichtete Schlichtungsstelle informiert über Werberegeln und nimmt Beschwerden entgegen.