Kinderernährung nach dem Brei
Um den zehnten Lebensmonat herum endet bei den meisten Babys allmählich die Zeit von Brei, Säuglings- und Gläschenkost. Sie werden neugierig auf das Essen der Großen und möchten gleichberechtigt am Familienessen teilnehmen. Wie geht es nun weiter mit der Kindernährung?
Gleichberechtigt am Familientisch
Eines Abends schaute er wie gebannt auf meinen Teller. Das Objekt seiner Begierde: ein Vollkornbrot mit Streichkäse und geraspelter Gurke obendrauf. Die kleinen Lippen schmatzten und formten ein forderndes „da, da, da!“ Er gab nicht eher Ruhe, bis ich ihm ein Stück abgab und auf seinen Plastikteller legte. Sein Sieger-Lächeln werde ich nie vergessen. Jetzt war es also auch vorbei mit dem Abendbrei – mein Sohn hatte kurz vor seinem 1. Geburtstag beschlossen, zum vollkommen gleichberechtigten Mitesser am Familientisch aufzusteigen.
Mehrere kleine Mahlzeiten am Tag
Ein besonderer Augenblick nicht nur für unsere kleine Familie, denn um den zehnten Lebensmonat endet bei den meisten Babys allmählich die Zeit von Brei, Säuglings- und Gläschenkost. Sie werden neugierig auf das Essen der Großen und experimentierfreudiger. Sobald Kinder selbstständig im Kinderstuhl sitzen, wollen und können sie am Familienessen teilnehmen. Manche brauchen bis zum Ende des ersten Lebensjahres dazu, andere sind früher dran. Jedes Kind hat seinen eigenen Rhythmus. Wichtig ist, dass Eltern den Übergang vom Breikind zum Familienköstler entspannt beginnen, denn Kinder ändern ihre Vorlieben und Abneigungen beim Essen ziemlich schnell.
Doch auch, wenn der Neuling an der Tafelrunde gerne alles wie die Erwachsenen machen will - für Kinder gelten beim Essen immer noch andere Regeln, als für die Großen: Sie brauchen durch ihr enormes Wachstum viel mehr Nahrung als ihre Eltern. Doch große Mengen kann der kleine Magen noch nicht aufnehmen. Deshalb sind mehrere über den Tag verteilte, kleine Mahlzeiten wichtig. Die Experten des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund (FKE) – und nicht nur die – empfehlen hier drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten. Dafür haben sie ein Ernährungskonzept mit dem Namen „Optimierte Mischkost optimiX“ entwickelt, das gesunde Lebensmittel für Kinder und Jugendliche abwechslungsreich in vielen exemplarischen Gerichten zusammenstellt. „OptimiX“ deckt den Bedarf an allen Nährstoffen, die Kinder und Jugendliche für Wachstum, Entwicklung und Gesundheit benötigen.
Grundsätzlich gehören natürlich zu jeder ausgewogenen Kinder-Kost fünf Nahrungsgruppen: Gemüse, Obst, Milchprodukte, Eiweiß (Fleisch, Fisch, Eier, Bohnen, Nüsse) und Kohlenhydrate (Brot, Nudeln, Getreide, Reis, Kartoffeln). Bei ihrer Kombination helfen drei einfache Regeln: „Reichlich pflanzliche Lebensmittel – vor allem Gemüse, Obst, Brot und Kartoffeln – und Getränke anbieten. Tierisches wie Milchprodukte, Fisch, Fleisch und Eier in Maßen. Fettreiches wie Butter und Öle sowie Süßwaren nur sparsam“, erklärt Mathilde Kersting vom FKE.
Richtig ernähren ist gar nicht so schwer
Es gibt unendlich viele Kochbücher und Ernährungsratgeber, die Eltern helfen wollen, gleichzeitig gesund zu kochen und dabei Kinder kompatible Gerichte zu finden. Eltern sollen und dürfen ruhig viel ausprobieren und experimentieren, um zu erfahren, was dem Kind gut schmeckt. Denn Essen soll schließlich Spaß machen. Hauptsache, die Mahlzeiten sind gesund zusammengestellt. Zum Beispiel so: Zum Frühstück gibt es Müsli mit Milch oder Jogurt, Obst und ein Getränk. Wer lieber Brot isst, bekommt die feingemahlene Vollkornvariante mit Marmelade oder Käse, dazu ein Glas Milch und frisches Obst. Als zweites Vormittags-Frühstück sind Obst oder Rohkost mit einem Milchprodukt ideal. Mittags sollten reichlich Gemüse, Kartoffeln, Nudeln oder Reis und wenig Fleisch auf den Tisch. Nachmittags dürfen es dann außer Rohkost, Obst oder/und Milchprodukten ruhig auch schon mal ein paar Kekse und ab und an auch Stückchen Kuchen sein. Abends gibt’s dann wieder Brot mit Käse oder Wurst und Rohkost. Zu jeder Mahlzeit gehört ein Getränk. Zweimal täglich kann das zum Beispiel ein Becher Milch sein, einmal ein Glas Obstsaft oder eine Saftschorle, ansonsten ist Mineralwasser der perfekte Durstlöscher. Die besten Getränke mit Geschmack sind Kräuter- oder Früchtetee sowie Frucht-Schorlen mit hohem Wasseranteil.
Noch ein Wort zum Thema Süßigkeiten: Sie sind ernährungsphysiologisch überflüssig, praktisch aber aus der Kinderernähung nicht wegzudenken. Wie viele Süßwaren zu tolerieren sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Häufiges Naschen zwischendurch verdirbt leicht den Appetit zu den Mahlzeiten. Ebenso verzichtbar ist all das, was im Supermarkt als „Kinderlebensmittel“ angeboten wird. Das sind oft keine gesunden Zwischenmahlzeiten, sondern eher Süßigkeiten, die man ab und zu mal anbieten kann. Auch „Juniormenüs“ und spezielle Kleinkindergerichte sind meist nicht empfehlenswert. Im Gegenteil: Kindermenüs bieten oft einen Einheitsgeschmack aus Tomaten und Karotten. Durch die starke Zerkleinerung der Zutaten lernt das Kind nicht richtig zu kauen, geschweige denn, einzelne Lebensmittel zu erkennen und herauszuschmecken.
Vor allem berufstätige Eltern können ihren anstrengenden Alltag oft nicht ohne Tiefkühlkost stemmen. Dagegen ist nichts einzuwenden, sofern es sich um tiefgekühltes Obst und Gemüse handelt, das ähnliche Nährstoffwerte wie frische Lebensmittel hat. Bei Fertigprodukten kommt es aber auf die Zusammensetzung an, denn viele sind sehr fettreich. Dennoch lässt sich eine Tiefkühlpizza leicht zusätzlich mit Gemüse wie Paprika oder Tomaten belegen oder eine Tütensuppe mit geraspelter Gemüserohkost aufpeppen und verfeinern. Gut ausgewählte, so genannte „Convenience-Produkte“, können in Maßen also sinnvoll sein und vor allem Zeit sparen, die dann für die gemeinsame Einnahme der Mahlzeit gewonnen wird.
Gesunde Sachen schmackhaft machen
Für Kinder gilt ganz besonders: Das Auge isst mit. Ist der Teller mit Tomaten, Salatblättern, Radieschen oder Petersilie farbenfroh und schön hergerichtet, macht das Lust auf mehr. Besonders beliebt sind Speisen, die Kinder mit der Hand essen können: Mohrrüben, Bananen, Paprikastreifen. Rohkostplatten mögen sie oft lieber als Salate, in denen die Zutaten gemischt sind. Kinder mögen Obst meist lieber als Gemüse. Einige Tricks helfen aber, damit sie sich auch für Gemüse begeistern: Zum Beispiel Trauben in den Feldsalat mischen oder Möhrenrohkost mit Apfel anreichern. „Kinder sind neuen Gerichten oder Kombinationen gegenüber eher skeptisch. Deshalb sollten Eltern gerade Obst und Gemüse wieder und wieder anbieten, damit die Kinder – wenn es ihnen dann schmeckt – positive Erfahrungen damit verbinden“, so die Ernährungswissenschaftlerin Mathilde Kersting.
So lange ein Kind noch keine Backenzähne hat, kann es die Nahrung nur mit den Kieferleisten kauen. Bei den meisten Lebensmitteln ist das kein Problem. Lebensmittel mit harter Hülle wie Paprika, Tomaten, Erbsen schneidet man jedoch besser in kleine Stücke oder zerdrückt sie. Hartes Gemüse wie Karotten oder Gurken gibt man am besten erst dann, wenn das Kind schon gut kauen kann.
Welche Tischmanieren müssen sein?
Wenn ein kleines Kind gerade erst lernt, mit Löffel und Gabel zu essen, geht das nicht ohne Kleckern ab. Daher gilt bei Ess-Anfängern: Das Kind sollte selbst üben – und die Eltern seinen Essbereich großräumig mit Wachstuchtischdecke oder Plastikfolie rund um den Hochstuhl absichern. Dann zeigt man dem Kind immer wieder, wie es mit dem Löffel, mit der Gabel – und später auch mit dem Messer – umgeht. Mutmachen und Zutrauen zeigen ist wichtig. So fördert man das Selbstvertrauen des kleinen Essers. Dennoch ist es wichtig, von Anfang an zu zeigen, was erlaubt ist und klare Grenzen zu ziehen, sobald etwa das Essen durch die Luft fliegt und auf dem Tisch oder Boden landet. Dazu gehört auch, dass sich kleine Kinder daran gewöhnen, während des Essens sitzen zu bleiben und größere, mit anzupacken und etwa den Tisch zu decken oder abzuräumen.
Wichtig ist auch die Atmosphäre am gemeinsam Esstisch: Wenn die Stimmung mies ist, liegt das oft daran, dass Eltern versuchen, ihre Kinder zum Essen zu überreden. „Die Eltern sind dafür verantwortlich, dass sie gesunde Lebensmittel kaufen, zubereiten und auf den Tisch stellen. Das Kind dafür, was und wie viel es ist“, so beschreibt es Annette Kast-Zahn in ihrem Klassiker „Jedes Kind kann richtig essen“. Keine Angst, Kinder verhungern so schnell nicht. Selbst Kinder, die bei Tisch wochenlang „Nudeln mit ohne alles“ essen, ernähren sich, über Monate hinweg gesehen, trotzdem gesund. Babys und Kleinkinder essen, wenn sie Hunger haben und hören auf, wenn sie satt sind. Üben Eltern Druck aus, zwingen sie das Kind, mehr zu essen, als es von sich aus möchte, trainieren sie diesen natürlichen Mechanismus ab. Dann isst ein Kind nicht mehr, weil es Hunger hat, sondern um der Mutter einen Gefallen zu tun – und ist auf dem besten Weg in eine Essstörung.
Grundregeln für eine gesunde Kinder-Ernährung
- Fünfmal am Tag: Drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten am Tag essen.
- Reichlich: Getränke sowie Gemüse, Obst und Getreide. Darin sind viele Nährstoffe und Ballaststoffe, aber wenig Fett und Kalorien.
- Mäßig: Milch, Milchprodukte, Fisch, Fleisch und Eier. Sie enthalten viele wertvolle Nährstoffe, oft aber auch viel Fett und Kalorien.
- Sparsam: Wenig Zucker, Süßigkeiten und fettreiche Lebensmittel wie Butter, Sahne, Margarine und Öl. Die liefern zwar auch Nährstoffe, haben aber viele Kalorien.
- Ballaststoffe: Wichtig für die Verdauung und die Darmfunktion. In Obst und faserreichem Gemüse wie Kohl enthalten.
- Getränke: Der ideale Durstlöscher ist nach wie vor Wasser. Man kann auch ungesüßte Kräuter- und Früchtetees anbieten oder mit Wasser gemischte Obst- und Gemüsesäfte. Kinder zwischen 1 und 4 Jahren brauchen ungefähr 1 Liter am Tag, bei Kindern zwischen 4 und 10 erhöht sich der Bedarf auf 1 bis 1,3 Liter täglich.
- Vorsicht!: Das Essen für Kinder sollte zurückhaltend gesalzen und gewürzt sein. Rohes Fleisch ist nichts für kleine Kinder, denn es kann Bakterien wie Salmonellen enthalten, die das kindliche Abwehrsystem noch nicht bekämpfen kann. Auch Rohmilch muss für kleine Kinder abgekocht werden, weil sie viele Keime enthält.
Optimierte Mischkost – einige Beispiele
Frühstück:
- Cornflakes mit Apfelwürfeln und Milch, dazu Kräutertee oder
- Vollkornbrot mit Leberwurst, Karotte, dazu Kräutertee oder
- Vollkornbrot mit Butter und Honig, Orange, dazu Kakao
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Zwischenmahlzeit:
- Obstsalat mit Mandarine, Banane, Birne und Haferflocken, dazu Kräutertee oder
- Kräcker, Orange, dazu Trinkmilch oder
- Haferflocken mit Weizenkeimen und Orangensaft mischen, dazu Mineralwasser
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Mittagessen:
- Bratkartoffeln mit Schinken, Ei und Salat, dazu Mineralwasser oder
- Getreide-Gemüse-Pfanne (Hirse, Porree, Karotten, Kräuter und
- Rapsöl), dazu Orangensaft-Schorle oder
- Seelachsfilet mit Ananas-Würfeln und Curry, Blattspinat-Reis-Mischung, dazu Früchtetee
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Nachmittag:
- Vollkorn-Schokoladenkeks, Naturjogurt mit frischen Früchten, dazu Mineralwasser oder
- Fruchtgummi, dazu Apfelsaft-Schorle oder
- Kiwi, Doppelkeks, dazu Malzkaffee mit Trinkmilch mischen
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Abendbrot:
- Mischbrot mit Schnittlauch und Schnittkäse, Gurken-Paprika-Tomaten-Rohkost, dazu Mineralwasser oder
- Mischbrot mit Leberwurst, Kohlrabi und Birne geraspelt mit Zitronensaft, dazu Apfelsaft oder
- Haferflocken mit Kiwi, Weizenkeimen und Naturjogurt, dazu Kräutertee
Buch- und Info-Tipps
Dagmar von Cramm: Kochen für Kleinkinder. Gräfe und Unzer 2004, 64 Seiten, 7,50 EUR.
Mahlzeit, Kinder! Verbraucherzentrale NRW, 5,50 EUR. Im Internet zu bestellen unter www.vz-nrw.de
Broschüren und Materialien des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund (zu bestellen unter http://www.fke-do.de oder bei der Bestell-Hotline 0 1805 79 81 83 für12 Cent/Minute)
- Nr. 4, Ernährung von Kindern und Jugendlichen-optimiX 2005, 3 Euro
- Nr. 6, Empfehlungen für das Frühstück 1994, 3 Euro
- Nr. 8, Ernährung von Säuglingen und Kindern mit einer Lebensmittelallergie 2002, 2 Euro
- Nr. 20, optimiX Kochbuch für Kinder 2003, 10 Euro
Annette Kast-Zahn / Hartmut Morgenroth: Jedes Kind kann richtig essen. Vom Baby bis zum Schulkind: Wie Eltern dafür sorgen können, dass der Esstisch nicht zum Stresstisch wird. Oberstebrink Verlag 1999, 146 Seiten, 17,80 EUR.
Kordula Werner: Was den Kleinen wirklich schmeckt. Nach dem Brei - Rezepte für 1- bis 4-Jährige.vgs, 10,90 EUR.