Schulstart

Offene Ganztagsschule: Gut für mein Kind?

Die Offene Ganztagsschule löst in vielen Bundesländern zunehmend die Nachmittags-Betreuung im Hort ab. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff und was hat die Offene Ganztagsschule meinem Kind zu bieten?

Autor: Gabriele Möller

Offene Ganztagsschule ersetzt Horte

Schülerin Ganztag
Foto: © iStockphoto.com/ kzenon

Sie löst in vielen Bundesländern zunehmend die Horte ab: Die Ganztagsbetreuung an Grundschulen, wo Kinder bis zum späten Nachmittag bleiben können, aber nicht müssen. Sie ist vor allem für Kinder berufstätiger Eltern gedacht. Die Offene Ganztagsschule bietet (im Gegensatz zur echten Ganztagsschule) den Vormittagsunterricht der Halbtagsschule, plus Betreuung und freiwilligem Nachmittagsprogramm nach dem Mittagessen. Jeweils zu Beginn des Schuljahres entscheiden die Eltern, ob ihr Kind die Ganztagsbetreuung wahrnehmen und welche Angebote und Arbeitsgruppen (AGs) es dort nutzen soll. urbia zeigt Möglichkeiten und Grenzen dieser Betreuungsform auf und gibt Tipps, wie Eltern ihrem Schulneuling den Einstieg in den offenen Ganztag erleichtern können.

Symbiose aus Lernen und Freizeit

Nicht nur die Beaufsichtigung der Kinder will die offene Ganztagsschule („Ogata“) leisten: Sie möchte Kindern auch bessere Lernchancen eröffnen. Die oft freien Träger der Betreuung und die jeweilige Schulleitung erstellen dabei (im Rahmen vorgegebener Regelungen der Länder) ein gemeinsames Konzept. Dies ruht in der Regel auf folgenden Stützpfeilern: Es soll eine individuelle Förderung der Kinder geben durch eine „Pädagogik der Vielfalt“, die die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler berücksichtigt. Die Lernkultur soll verbessert werden durch die Verknüpfung von Unterricht, Zusatzangeboten, Freizeit und Projekten. Das gemeinsame Lernen verschiedener Altersgruppen soll das Sozialverhalten trainieren und respektvollen Umgang miteinander fördern.

Oft ist festgelegt, dass außerhalb des regulären Stundenplans eine pädagogische Fachkraft (Erzieher, Sozialpädagogen, Lehrer) die Leitung übernimmt, die durch weitere Helfer (zum Beispiel Musik- und Tanzpädagoginnen, Künstler, psychologisches Fachpersonal, Übungsleiter, pädagogisch qualifizierte Eltern, ehrenamtlich tätigen Personen, Studierenden und Schülern) unterstützt wird. Zusätzlich verpflichten sich manche Schulen, auch eigene Lehrerstunden für den offenen Ganztag (etwa drei pro Gruppe) abzustellen. Meist sind ein bis zwei Erzieherinnen bzw. Betreuer für 20 Kinder zuständig.

Zu den angebotenen Aktivitäten gehören neben der Hausaufgabenbetreuung zum Beispiel Instrumental-Unterricht, Gartenprojekte, Folklore, Tanz, Geländespiele, Fußball, Theater, Bühnenbildkurse, Sport, Schattenspiele oder Basteln sowie Förderkurse (Sprache, Lesen, Fremdsprachen, Computer, Motorik). Allerdings kosten AGs nicht selten extra, so dass sie sich nicht alle Eltern für ihr Kind leisten können. Der „Ogata“ werden meist eigene Räume zur Verfügung gestellt (nicht immer im Schulgebäude selbst), in denen gegessen, gespielt und gearbeitet wird. Oft befinden sich auf dem Schulhof eigene Fahrzeuge (z. B. „Kettcars“) oder auch ein Spielhaus nur für die Ganztagskinder.

Ein Pluspunkt der offenen Ganztagsschule: Auch in den Ferien können die Kinder hier ganztägig betreut werden, lediglich bestimmte Kern-Schließungszeiten sind ausgenommen. Der offene Ganztag ist meist flexibel: Er kann auch nur tageweise genutzt werden, und man darf sein Kind auch unangekündigt früher abholen.

Eine Schule ohne Lehrer

Kritiker bemängeln, dass die offene Ganztagsschule nicht wirklich die Lernqualität verbessern könne und daher keine Antwort auf PISA sei, wie oft suggeriert werde. Denn sie sei am Nachmittag in der Regel eine „Schule ohne Lehrer“, wie Paul Tresselt, Lehrer und Mitglied im Verband Bildung und Erziehung (VBI), betont. Sie könne keine echte Antwort auf den erhöhten Förderbedarf geben. „Es ist fatal zu glauben, dass sich die Schülerleistungen dadurch bessern; die werden nur besser durch besseren Unterricht“, so Tresselt. „Ich war mit der Hausaufgabenbetreuung bei meinem Sohn nicht zufrieden“, klagt auch Johanna (37), deren Sohn Niklas (8) ein Jahr in den offenen Ganztag ging. „Die Erzieherinnen schauten nur oberflächlich, ob die Aufgaben gemacht wurden, stiegen aber auf Probleme kaum tiefer ein. Ich musste zu Hause selbst nachschauen, ob nichts fehlte, oder meinen Sohn nachbessern lassen, wo er etwas nicht verstanden und daher falsch gemacht hatte.“

Ein täglicher Aufenthalt in der Schule von der Länge des Arbeitstages eines Erwachsenen sei für viele Kinder, so die Kritiker, zudem nicht wirklich eine Bereicherung. „Sechs Stunden in der Schulumgebung reichen völlig. Wie schön wäre es, wenn es nachmittags tolle Programme zur Freizeitgestaltung gäbe, die nicht alle in Schulgebäuden stattfänden! Die gab es früher zuhauf von verschiedenen Vereinen, kirchlichen Gruppen und Trägern der Jugendhilfe,“ beklagt Tresselt. Auch Johannas Sohn Niklas wurden die Tage in der Schule oft sehr lang: „Ich hab’ immer die Kinder beneidet, die schon mittags nach Hause durften.“

So klappt der Einstieg in den Ganztag

Ein Blick in die Beiträge von Elternforen zeigt: Viele Kinder fühlen sich in der Ganztagsbetreuung aber sehr wohl und freuen sich auf die AGs und Freizeitangebote. Nach den ersten Wochen sollten Eltern daher einfach schauen, ob das eigene Kind sich nachmittags in der Schule heimisch fühlt, ob es Freunde gefunden hat und ob die Hausaufgaben beim Heimkommen zufriedenstellend ausgefallen sind. Mit den Erzieherinnen können die Eltern besprechen, welche Bedürfnisse der eigene Nachwuchs hat. Zum Beispiel brauchen manche Kinder zwischendurch Ruhe und ein wenig Zeit für sich. Manche Kinder können nur einen Teil der Hausaufgaben in der Schule schaffen, und machen die andere Hälfte lieber hinterher noch zu Hause.

Es fällt Kindern leichter, sich in der „Ogata“ einzugewöhnen, wenn die Eltern auch innerlich von der Betreuungsform überzeugt sind. Ein Kind erfühlt es, wenn die eigene Mutter ein schlechtes Gewissen plagt, Schuldgefühle sollte man über Bord werfen. Es kann entlasten, mit anderen Müttern zu sprechen, die aus Überzeugung ihren Alltag ähnlich organisieren wie man selbst. Damit der Kontakt zum Kind trotz Ganztagsbetreuung eng und vertraut bleibt, helfen auch bestimmte Rituale: Zum Beispiel, sich beim Abholen für „Tür-und-Angelgespräche“ mit den Erzieherinnen und anderen Eltern Zeit zu nehmen. So erfährt man, wie es dem eigenen Kind geht, was ansteht, kann Kontakte knüpfen. Nach dem Nachhausekommen können sich groß und klein bei einer behaglichen „Teestunde“ gegenseitig erzählen, was der Tag an Höhen und Tiefen bereit gehalten hat. Auch das gemeinsame Abendessen ist jetzt noch wertvoller als früher: Am Familientisch entsteht trotz langer Trennung ein wohltuendes Wir-Gefühl.

Lernerfolg nicht aus dem Auge verlieren

Die Sicherung des Lernerfolgs sollten Eltern nicht allein der Schule und der Nachmittagsbetreuung überlassen. Gerade Schulanfänger brauchen zum Beispiel auch zu Hause viel Leseförderung. Zum gemütlichen Abendritual könnte also abwechselndes, gegenseitiges Vorlesen gehören. Auch die Hausaufgaben können oft noch einen genaueren mütterlichen oder väterlichen Blick vertragen. Am Wochenende sollte – zusätzlich zu den wichtigen, gemeinsamen Familienunternehmungen – auch ein kurzes Resumée der Schulwoche vorgenommen werden: Was wurde Neues gelernt, wo steht die Klasse im Mathe-Unterricht, hat der Nachwuchs wirklich alles verstanden? Jetzt ist auch die richtige Zeit, Fortschritte zu würdigen und Erfolge zu loben. Diese Motivation ist sehr wichtig und kann von keinem Ogata-Betreuer ersetzt werden.

Die Kosten sind variabel

Die offene Ganztagsschule wird von den Ländern und Kommunen bezuschusst. Hinzu kommt ein Elternbeitrag, der vielerorts nach dem Einkommen gestaffelt ist und meist eine Obergrenze von 100 bis 150 EUR nicht überschreitet. Für Hartz IV-Empfänger übernehmen manchmal die Kommunen oder auch die Träger die Kosten. Das Mittagessen wird oft gesondert berechnet (meist maximal 2,50 EUR pro Tag), auch hier sind Zuschüsse für einkommensschwache Familien möglich. AGs, Kurse und Instrumentalunterricht müssen ebenfalls oft extra bezahlt werden.