Schuleingangsuntersuchung: Was erwartet uns?
Wenn Ihr Kind im nächsten Jahr in die Schule kommt, ist es mit der Anmeldung an der Schule nicht getan. Einige Wochen später folgt in den meisten Bundesländern noch die so genannte Schuleingangsuntersuchung. Was Eltern und ihre Vorschulkinder dort erwartet, erfahren Sie in diesem Artikel.
Überflüssig oder wichtig für den Ernst des Lebens?
Rein vom Gefühl her beginnt die Schule für ABC-Schützen und ihre Eltern nicht erst am Tag der Einschulung, sondern schon viel früher. Denn im letzten Kindergartenjahr stehen so einige Termine an, die das Thema immer wieder in den Mittelpunkt rücken: Tage der offenen Tür in den Grundschulen, die Anmeldung der zukünftigen Erstklässler. Dann kommen die Einladung zum ersten vorschulischen Elternabend und die Schuleingangsuntersuchung (kurz: SEU, oder Einschulungsuntersuchung, kurz: ESU). Sie ist in den meisten Bundesländern ein in den Schulgesetzen verankerter Pflichttermin, der im Zeitraum zwischen Anmeldung und Schuleintritt stattfindet. Die Modalitäten sind jedoch genauso wie das Einschulungsalter und das Anmeldeverfahren in jedem Bundesland anders geregelt und ändern sich mitunter, weshalb unser Artikel nur einen Überblick bieten kann. Bei Fragen hilft aber in jedem Fall das örtliche Gesundheitsamt (Kinder- und Jugendgesundheitsdienst) weiter, das auch die Termine für die Untersuchung vergibt - über die zuständigen Grundschulen bei der Anmeldung, per Post oder Telefon, in manchen Ländern auch über die Kindergärten.
Schuluntersuchung Berlin: Kindergesundheitsdienst beurteilt
In Baden-Württemberg wurde kürzlich ein System eingeführt, nach dem Kinder schon im vorletzten Kindergartenjahr vom Schularzt untersucht werden, damit mehr Zeit bleibt, eventuellen Entwicklungsschwächen entgegenzuwirken. Laut „Zeit Online“ kam es aber zu Startproblemen bei der Umsetzung des Systems – viele Kinder konnten aufgrund von Personalmangel gar nicht untersucht werden.
So sorgt die Schuleingangsuntersuchung also wieder einmal für Kontroversen. Die einen halten sie für schlichtweg überflüssig und meinen, die U-Untersuchungen beim Kinderarzt seien völlig ausreichend. Die Bezirksstadträtin für Gesundheit in Berlin Steglitz-Zehlendorf, Barbara Loth, hält dagegen: „Die Kinderärzte haben kaum die Möglichkeit der Kooperation mit Kitas und Schulen und damit der entsprechenden Beratung der Eltern. Der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst betreut Kinder mit Schwierigkeiten schließlich in den entsprechenden Schulen weiter.“ Ein zweites Argument, vorgetragen von Doro Moritz, der Landesvorsitzenden der Bildungsgewerkschaft GEW Baden-Württemberg in den SWR-Nachrichten: „Gut geschulte Erzieherinnen wissen besser als Fachleute, die von außen für Momentaufnahmen in die Einrichtungen kommen, welche Kinder Förderbedarf haben. Daher braucht es keine aufwendigen Untersuchungen.“ Darauf entgegnet wiederum die Berliner Bezirksstadträtin Barbara Loth: „Für eine umfassende Einschätzung der Kinder fehlt den Erziehern die entsprechende Ausbildung. Oft können sie aber die sozioemotionale Entwicklung besser einschätzen, da sie das Kind in der Gruppensituation kennen. Deshalb holen meine Mitarbeiter in bestimmten Fällen und nach Entbindung von der Schweigepflicht durch die Eltern auch eine Einschätzung der Erzieher ein.“
Braucht das Kind vor der Schule Förderung oder Unterstützung?
Solange sich die Experten nicht einig sind, bleibt die Situation bestehen, dass die meisten Jungen und Mädchen in Deutschland zum Schularzt gehen müssen. Und überall, wo sie das tun, steht dasselbe Anliegen des Gesetzgebers im Mittelpunkt: „Durch diese Untersuchung soll vor allem festgestellt werden, ob ein Kind in irgendeinem Bereich besondere Förderung und Unterstützung benötigt“, formuliert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, „Ziel ist es, jedem Kind die schulischen Bedingungen zu ermöglichen, die es braucht, um erfolgreich lernen zu können.“ Dazu gehören konkrete Anforderungen wie: Kann sich das Kind Dinge merken? Kann es sich für eine gewisse Zeit konzentrieren? Dazu gehören aber auch weniger greifbare Entwicklungsstufen, die sich nicht so leicht abfragen lassen: Kann sich das Kind in eine Gemeinschaft einfügen? Kann es auch schon mal einen Rückschlag verkraften? Ist es neugierig auf die Schule?
In den meisten Fällen ist die Einschätzung der Ärzte zutreffend
Die zukünftigen Erstklässler, vor allem aber ihre Mamas und Papas, wenn sie zum ersten Mal eine SEU miterleben, sind vor diesem „Großereignis“ aufgeregt und fragen sich: Was erwartet uns? „Eltern müssen sich keine Sorgen machen“, beruhigt Bezirksstadträtin Barbara Loth, „die Schuleingangsuntersuchung ist keine Prüfung, sondern eine ärztliche Entwicklungsdiagnostik in kindgerechter Atmosphäre.“ In den Erfahrungsberichten der Erziehungsberechtigten in verschiedensten Internetforen liest man dagegen hauptsächlich Beschwerden über gelangweilte Amtsärzte oder eine hektische Atmosphäre, in der der Nachwuchs innerhalb von 20 Minuten durch den Testmarathon gescheucht wurde. „Mich hat geärgert, dass überhaupt nicht aufs Kind eingegangen wurde“, schimpft Userin „teufel81“ im urbia-Forum, „es ging sofort mit den Übungen los und auch sonst wurde zwischendurch nicht mit ihr gesprochen.“ Wie überall gibt es eben auch unter den Schulärzten „so ne und so ne“. Den einen gelingt es mit Humor und Einfühlungsvermögen, selbst das schüchternste Kind zum Mitmachen zu motivieren, die anderen tun Dienst nach Vorschrift oder stehen selbst unter Druck. Doch da es bei der SEU nicht um Noten geht oder darum, Kinder zu identifizieren, die überdurchschnittlich gut entwickelt sind, und da die Schulärzte Jahr um Jahr viele Kinder im Vergleich sehen, fällt ihre Einschätzung in den allermeisten Fällen zutreffend aus.
Auch passiert bei der Schuleingangsuntersuchung selten etwas völlig Unerwartetes, jedenfalls nicht aus der Sicht jener Eltern, die die Entwicklung ihres Kindes verfolgen, indem sie die U-Untersuchungen beim Kinderarzt und Entwicklungsgespräche im Kindergarten wahrnehmen. Zurückhaltende Kinder verhalten sich auch in dieser neuen Situation erstmal abwartend, Kinder mit großem Bewegungsdrang mögen nicht stillsitzen. Auch wenn ein Förderbedarf festgestellt wird, ist das meist keine große Überraschung, denn die Eltern sind dann schon von den Erzieherinnen in der Kita darauf angesprochen worden oder sie haben es längst selbst gemerkt.
Die Eltern müssen sich zurückhalten
Mancherorts müssen die Eltern während der SEU draußen warten, oft dürfen sie sich etwas abseits vom Geschehen im Raum aufhalten – wenn sie sich „benehmen“. „Es gibt tatsächlich Eltern, die dazwischenrufen: ‚Max, sitz gerade! Jetzt streng dich doch mal an!’“, plaudert eine Berliner Schulärztin aus dem Nähkästchen, „Das sind meist die Eltern, die ihre Kinder vormittags in eine teure Privatvorschule und nachmittags viermal die Woche zum Musik-, Englisch- oder Ballettunterricht bringen. Aber da kann ich aus langjähriger Erfahrung nur sagen: Deren Kinder schneiden am Ende auch nicht besser ab als alle anderen.“ Die bei der SEU anwesenden Eltern tun besser daran, sich nicht einzumischen, auch wenn sie meinen, ihr Kind präsentiere sich nicht optimal oder werde falsch eingeschätzt. Kommentare aus dem Hintergrund lenken das Kind nur ab und verzerren das Ergebnis. Im Zweifelsfall können Mama oder Papa ihre Bedenken lieber am Ende der Untersuchung direkt ansprechen. Laut Barbara Loth bieten die Mitarbeiter im Gesundheitsamt offensichtlich nervösen Eltern schon von sich aus ein anschließendes Elterngespräch an. „Sehr selten können Kinder auch ein zweites Mal einbestellt werden, wenn meine Mitarbeiter das Gefühl haben, dass das Kind aufgrund ungünstiger Umstände nicht ausreichend beurteilt werden konnte“, so die Bezirksstadträtin.
Ablauf: Diese Übungen können auf Ihr Kind zukommen
Je nachdem wie gut ein Kind mitmacht, dauert die Schuleingangsuntersuchung üblicherweise ungefähr eine dreiviertel Stunde bis Stunde. Hörtest und Sehtest (z.B. in Form des Erkennens von Gegenständen im 3D-Bild und im Punktechaos) sind überall Standard, die weiteren Übungen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. In Nordrhein-Westfalen, Berlin und anderen Ländern wird das Testverfahren „S-ENS“ angewandt. Die Kinder werden dabei aufgefordert, seitlich auf einer Matte hin und her zu springen. Sie sollen eine Strichfigur vervollständigen und andere Strichfiguren abmalen, die entfernt an Gegenstände aus dem kindlichen Alltag erinnern. So kann der Schularzt einschätzen, ob es dem Kind gelingen wird, in der Schule Dinge von der Tafel abzuschreiben. Andere Übungen beziehen sich auf den durchschnittlichen Entwicklungsstand, der im Vorschulalter erwartet werden kann. So sollte ein Fünfjähriger einen Menschen malen können, an dem „alles dran ist“: auch Haare, Nase, Ohren, Finger, Bauchnabel und Zehen, also Körperteile, die von jüngeren Kindern noch weggelassen werden. Weiterhin wird die so genannte Sprachkompetenz geprüft. Der Schularzt versucht, das Kind in ein kleines Gespräch über seine Geschwister oder Hobbys zu verwickeln. Im Rahmen des S-ENS-Tests sagt er relativ komplexe Sätze vor, die das Kind nachsprechen soll. Er nennt Begriffe aus der „Babysprache“ und lässt den Vorschüler korrigieren.
Die Testverfahren in anderen Bundesländern beinhalten zum Beispiel folgende Übungen: Materialien wie Holz und Metall befühlen und benennen, einen Turm bauen, beim Würfeln die Zahlen von eins bis zehn erkennen, Sinnlossilbenketten oder Zungenbrecher nachsprechen, geschwungene Linien mit dem Stift nachfahren, Farben benennen, Punktemengen vergleichen, eine Bildergeschichte in die richtige Reihenfolge bringen, balancieren.
Und was geschieht mit den Ergebnissen?
Und welche Ergebnisse können nun bei der Schuleingangsuntersuchung herauskommen? Der Großteil der Kinder (in Berlin Steglitz-Zehlendorf – nur als Beispiel – rund 75 Prozent) wird als unauffällig eingestuft. „Gute Voraussetzungen für den Schulbeginn sind ein gesundes Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Neugier“, so Bezirksstadträtin Barbara Loth, „Je länger ein Kind die Kita besucht hat, je weniger es fernsieht und je stabiler sein soziales Umfeld ist, desto besser schneidet es unserer Erfahrung nach ab.“ Bei den anderen Kindern wird entweder ein so genannter „vorschulischer Förderbedarf“ festgestellt und eine individuelle Förderung empfohlen: Das können Maßnahmen wie Physiotherapie, Ergotherapie oder logopädische Therapie sein. Gegebenenfalls wird ein Treffen mit einem Sozialarbeiter anberaumt.
Wenn der Schularzt davon ausgehen muss, dass vorschulische Fördermaßnahmen bis zur Einschulung keinen ausreichenden Erfolg zeigen werden, kreuzt er auf seinem Untersuchungsbogen „schulischer Förderbedarf“ an. Die Eltern werden über die Einschätzung informiert. Inwieweit die zuständige Grundschule davon erfährt und inwieweit sie daran gebunden ist, das ist in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich geregelt, wird den Eltern aber auf Nachfrage vom Schularzt erklärt. Es geht jedoch niemals darum, ein Kind von vorneherein als „schwierig“ abzustempeln, sondern darum, die Kinder mit „schulischem Förderbedarf“ gleichmäßig auf die Klassen zu verteilen.
Für die Statistik sind alle Ergebnisse von Belang
Was viele Eltern nicht wissen: Auch die Testergebnisse der „unauffälligen“ Kinder sind wichtig, denn sie werden mit allen anderen anonymisiert und ausgewertet, sodass ein statistischer Überblick entsteht. „Ein wesentlicher Aspekt der SEU ist die epidemiologische Auswertung des Gesundheitszustandes eines Jahrgangs“, sagt Barbara Loth vom Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin. Im Idealfall kann dieser Überblick helfen, die vorschulische Betreuung und Förderung für alle Kinder zu verbessern. Wird zum Beispiel bei überdurchschnittlich vielen Kindern in einer bestimmten Region ein besonderer Sprachförderbedarf festgestellt, bekommen die Erzieherinnen der Kitas diese Information und werden sich mit ihren Angeboten in Zukunft danach richten.