Therapien für Kinder - was wird da gemacht?
Sprachtherapie, Ergotherapie, Spieltherapie: Für Kinder, die in einem bestimmten Bereich ihrer Entwicklung Hilfe brauchen, gibt es viele Förder- und Behandlungsmöglichkeiten. Welche das sind und was genau da gemacht wird, lesen Sie in diesem Artikel.
Ergotherapie – fit für den Alltag
Was die Ergotherapie möchte, sagt ihr Name: Ergo kommt aus dem Griechischen (ergon) und bedeutet „Werk“ oder „Arbeit“. In der Ergotherapie erarbeiten und üben Kinder Handlungen, die ihnen helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen. Die Ergotherapie eignet sich bei Entwicklungsverzögerungen, Wahrnehmungsstörungen, für motorische Störungen und ADHS. Diese Therapieform möchte vor allem unzureichende Verknüpfungen im Gehirn entwickeln helfen. Denn sind die Vernetzungen hier (noch) nicht optimal, fällt dem Kind die Koordination seiner Sinnesorgane und Gliedmaßen schwer. Es kann zum Beispiel nicht gut zielgerichtet greifen oder hat Probleme beim Schreiben lernen.
„Bei der Ergotherapie geht es darum, mehr Verbindungen zwischen eigentlich unterschiedlichen Hirnarealen herzustellen, zum Beispiel zwischen der Motorik (Bewegung) und dem kognitiven Bereich (Verstehen, Denken)“, erklärt Physiotherapeutin Sonja Meidow aus Karlsruhe. „Eine typische Übung ist zum Beispiel, das Kind auf einer Schaukel schwingen zu lassen, während es gleichzeitig kleine Aufgaben lösen muss: Gegenstände auf einer Tafel erkennen, auf ein Bild oder Symbol zeigen, eine kleine Rechenaufgabe knacken.“ Doch auch normale Alltagstätigkeiten sind Teil der Ergotherapie: zum Beispiel einen Stift richtig halten oder eine Schleife binden. „Man möchte immer Konzentration verbinden mit Bewegung“, so Meidow.
Die Ergotherapie beinhaltet meist 40 bis 60 Therapieeinheiten. Sie wird vom Arzt verschrieben und ist eine Kassenleistung.
Mit allen Sinnen lernen: Sensorische Integration
Eine Unterform der Ergotherapie ist die Sensorische Integration (SI). Hier wird besonders viel mit Sinneswahrnehmungen gearbeitet, was vor allem Kindern mit Wahrnehmungsstörungen zugute kommt. Zum Beispiel lässt der Therapeut diese Kinder kleine Sandsäcke schleppen, damit sie ein Gefühl für Gewicht bekommen. „Es gibt auch Übungen mit der so genannten Sandwich-Technik, bei der ein Kind zwischen zwei dicken Matten liegt. So kann es – während unterschiedliche Gewichte oder auch andere Kinder von oben darauf drücken - seine Haut und seine Körpergrenzen spüren.“ Es wird auch barfuß gelaufen, spielerisch gerungen, oder das Kind erhält Fantasiemassagen, bei denen mal ein kräftiger ‚Elefant‘, mal ein hauchzarter ‚Floh‘ über seinen Rücken laufen.
Von der SI profitieren auch Kinder mit verlangsamter motorischer Entwicklung, schlechtem Körpergefühl, hoher Geräuschempfindlichkeit oder auch erschwerter Anpassung an neue Situationen. Manchmal wird die SI auch bei Lernstörungen oder Hyper- oder Hypoaktivität (Spannungslosigkeit) eingesetzt. Wird die SI im Rahmen einer Ergo- oder Physiotherapie angeboten, wird sie von den Krankenkassen bezahlt.
Physiotherapie – das bewegte Kind
Ergo- und Physiotherapie überschneiden sich in manchen Bereichen. Die Physiotherapie wird ebenfalls bei sehr vielfältigen Störungen eingesetzt, wie zum Beispiel bei Entwicklungsverzögerungen, Koordinations- und Gleichgewichtsproblemen, Hyperaktivität. Aber auch bei Haltungsschäden, Fußfehlstellungen, Muskel- oder neurologischen Erkrankungen, Asthma (zur Steigerung des Lungenvolumens), Lähmungen oder Sehstörungen (die oft auch zu motorischen Problemen führen). Die Übungen sind dabei, je nach der Erkrankung oder Entwicklungsstörung, sehr unterschiedlich. Es werden Bodenübungen auf der Matte ebenso eingesetzt wie die Sprossenwand, es gibt Übungen mit Bällen und vielfältigen Turn- und Spielgeräten sowie mit unterschiedlichen anderen Materialien.
Natürliche Bewegungen fördern: das Bobath-Konzept
Physiotherapeuten arbeiten dabei oft nach dem „Bobath-Konzept“. Dieses fördert erwünschte, gesunde Bewegungen, während Bewegungsmuster, die der Entwicklung nicht gut tun, gehemmt werden. Es wird oft bei Babys und Kindern eingesetzt, die unter Entwicklungsverzögerungen, Wahrnehmungs-, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Tonusstörungen (schlaffe Muskulatur) oder so genannten Lage-Asymmetrien leiden. „Wenn ein Baby zum Beispiel durch die Geburt eine Blockierung der Kopfgelenke hat und dadurch in eine Schieflage kommt, entwickeln sich auch die Muskeln nicht symmetrisch. Das gilt auch, wenn es immer eine bestimmte Lage besonders bevorzugt“, so Meidow. Eltern lernen dann, ihr Kind so zu „handlen“, dass dieses Ungleichgewicht ausgeglichen wird.
Aber auch Kinder, die sich bisher immer zu wenig bewegt haben, können hier profitieren. „Manche Kinder, die zum Beispiel zu viel vor dem Bildschirm sitzen, haben ein regelrecht taubes Gefühl in ihrem Körper, weil ihnen echte Erfahrungen fehlen. Mit ihnen wird dann das geübt, was andere Kinder, die viel draußen sind, sowieso machen: Im Sand graben, Steine befühlen, mit Wasser spielen, verschiedene Materialien kennenlernen.“ Daneben werden aber auch Muskelerkrankungen oder Beeinträchtigungen des Gehirns mit Hilfe des Bobath-Konzepts therapiert.
Vojta – angeborenes Körperwissen wecken
Oft arbeiten Physiotherapeuten auch mit dem „Vojta-Prinzip“. Dabei werden die angeborenen Reflexe des Kindes dazu genutzt, gesunde Bewegungsmuster auszulösen. Hierzu werden bestimmte Reflexpunkte am Körper vom Therapeuten (und von den Eltern zu Hause) gedrückt. Die Methode geht davon aus, dass das Programm für eine ideale Bewegung im Gehirn gespeichert ist. Dieses Programm will die Vojtamethode auslösen.
Vojta wird zum Beispiel bei bewegungsträgen, entwicklungsverzögerten Kindern oder bei Kindern mit Koordinationsstörungen, Hüftdysplasien, Fußfehlstellungen oder asymmetrischer Haltung eingesetzt. Aber auch Rückgratverkrümmungen, Tonusstörungen in den Muskeln, der so genannte Schiefhals, Spina bifida (offener Rücken), Saug- und Schluckstörungen, eine Einschränkung der Atmung, neuromuskuläre Erkrankungen oder Lähmungen gehören dazu. Nicht allen Eltern fällt es leicht, die täglichen Übungen zu Hause durchzuhalten, weil das Drücken der Reflexpunkte für kleine Kinder oft etwas schmerzhaft ist und sie zum Teil dabei weinen.
Für diese und andere Formen der Physiotherapie übernehmen die Krankenkassen die Kosten.
Psychomotorik – ich kann etwas bewirken
Die Psychomotorik verbindet, wie ihr Name ausdrückt, das Geistig-Seelische mit dem Körperlich-Motorischen. Sie will die Bereiche Grob- und Feinmotorik, Gleichgewicht, Konzentration, Ausdauer, Koordination und Geschicklichkeit stärken und eignet sich für entwicklungsverzögerte, unruhige, konzentrationsschwache, zappelige, aggressive oder ängstliche Kinder.
Gearbeitet werde auch mit kleinen Zirkusprojekten, bei denen Kinder verschiedene Rollen ausprobieren, kleine Kunststücke einüben und alles in einer „Vorstellung“ den Eltern zeigen können. „Sie balancieren, klettern, schaukeln oder jonglieren mit Tüchern. So ein Projekt stärkt das Selbstbewusstsein, das Kind erfährt: Ich kann etwas und mache etwas, und das wird auch gesehen“, erklärt Meidow.Die eigenen Empfindungen kennenlernen
In der geschützten Kleingruppe kämen schüchterne Kinder dabei aus sich heraus, und die dominanten Anführer lernten umgekehrt, auch zuzuhören und sich einzufügen. Die Übungen helfen dem Kind auch, seine Empfindungen zu bemerken und zu bewerten: „Davor habe ich Angst“, „Das macht Spaß“, „Das kann ich bestimmt schaffen.“ Weitere typische Übungen sind Arbeiten am Selbstbild eines Kindes: „Die Kinder können sich auf einen Streifen weiße Tapete legen und ihre Körperumrisse aufmalen. Danach tanzt man zur Musik und bei den ‚Stopps‘, wenn die Musik plötzlich ausgeht, zeigt jeder rasch auf seine Hand- oder Fußumrisse, oder man lässt die Kinder Bälle auf den entsprechenden Umriss werfen.“
Die Psychomotorik (auch Mototherapie) ist nicht immer Kassenleistung. Manche Kassen beteiligen sich aber an den Kosten. Wird die Psychomotorik im Rahmen von Bewegungskursen, der Physiotherapie oder in Frühförderzentren angeboten, wird sie meist ganz von der Kasse übernommen.
Logopädie – spielerisch in den Redefluss kommen
Die Logopädie oder Sprachtherapie (bei beiden arbeiten die Therapeuten ähnlich, haben aber eine etwas unterschiedliche Ausbildung) wird bei Sprachentwicklungs-, Stimm- und Sprechstörungen eingesetzt. Dazu gehören zum Beispiel ein nicht entwicklungsbedingtes Stottern, Lispeln, Wortwiederholungen, undeutliches oder verlangsamtes Sprechen, aber auch das nicht mehr altersgemäße Vertauschen oder Weglassen von Buchstaben oder das Abkürzen von Wörtern sowie Probleme mit der Grammatik oder ein zu geringer Wortschatz. Auf spielerische Weise soll die Mundmuskulatur und –motorik verbessert und die Freude am Sprechen geweckt werden. Gleichzeitig werden der Wortschatz sowie das Sprachverständnis vergrößert.
Zum Einsatz kommen dabei zum Beispiel Geschicklichkeitsspiele und -übungen. Es werden zum Beispiel kleine Pappblättchen zwischen den Lippen gehalten oder kurze Schläuchstücke unter der Ober- oder Unterlippe einige Minuten lang festgeklemmt. Ein Wattebausch wird vom Kind um einen Hindernis-Parcours im Slalom herum gepustet. Es wird eine „Schnute“ gemacht, auf der ein Stift balanciert wird, mit den Lippen geschnaubt wie ein Pferd, die Backen aufgeblasen, oder die Zunge von innen oder außen über Zähne oder in den Backen kreisen gelassen. Daneben werden rhythmische Reime oder kleine Lieder geübt, die die schwierigen Laute enthalten. Die Therapie beinhaltet meist zehn bis 50 Sitzungen. Zum Logopäden überweist der Kinder- oder HNO-Arzt.
Psychotherapie – Hilfe für junge Seelen
Schon Kinder brauchen manchmal eine Psychotherapie. Diese kann nötig sein bei auffälligem Verhalten wie Ängstlichkeit, Zwängen, Kontaktproblemen, andauernder Traurigkeit oder Rückzug. Auch wenn ein Kind kaum spricht, aggressiv ist, extrem wenig isst oder umgekehrt sehr übergewichtig ist, psychosomatische Beschwerden (Bauchweh, Kopfweh) oder anhaltende Tics hat, sollte dies mit dem Kinderarzt besprochen werden. Auch Störungen wie Konzentrations- oder Schulprobleme (Verweigerung), hyperaktives Verhalten, ein schlechtes Selbstwertgefühl und Schüchternheit oder Einnässen bei älteren Kindern können behandelt werden.
Häufige Formen der Psychotherapie sind die Spiel- oder auch die Verhaltenstherapie, bei der schwierige oder Angst machende Situationen des Alltags trainiert werden. Manche Therapeuten bieten auch Gruppentherapien für Kinder an, oft zu einem bestimmten Thema: zum Beispiel Mutmachgruppen für ängstliche und schüchterne Kinder, wo sie im geschützten Rahmen aus sich herausgehen können, oder Gruppen für Trennungs- und Scheidungskinder, die sich mit anderen betroffenen Kindern austauschen können, die sie verstehen.
Spieltherapie – die Welt gestalten
Die erwähnte Spieltherapie wird außer von Psychotherapeuten auch von diplomierten Heilpädagogen angeboten. Das Kind bearbeitet dabei mit selbst gewähltem Spielmaterial belastende Situationen oder macht neue Erfahrungen. Dabei bekommt das gewählte Spielzeug oft stellvertretenden Charakter. Beim Familienspiel zum Beispiel kann eine bestimmte Figur für das Kind stehen, die anderen für Menschen aus seiner Familie und seinem Umfeld. Die Art, wie das Kind die Figuren behandelt, gibt dem Therapeuten Hinweise, wo es im Familiengefüge vielleicht hakt.
Aggressive Kinder bekommen zum Beispiel die Möglichkeit, Nägel einzuschlagen oder mit einer Säge umzugehen, was ihre ungelenkte Energie in eine konstruktive Richtung steuert. Sie werden dabei ermutigt, haben Erfolgserlebnisse und lernen, ihre Kraft auch außerhalb des therapeutischen Spielzimmers besser zu lenken. Für eher ängstliche und scheue Kinder halten Spieltherapeuten dagegen Material bereit, das es ihnen ermöglicht, etwas von sich preiszugeben, ohne sich zu sehr offenbaren zu müssen: Sie können zum Beispiel aus Ton etwas formen, das sie gleich danach wieder zerstören (= verbergen) können.
Die Psychotherapie wird von der Krankenkasse bezahlt. Zur Spieltherapie geben viele Krankenkassen einen Zuschuss oder übernehmen diese ganz, wenn sie im Rahmen einer Psychotherapie stattfindet.
Therapien mit Tieren – etwas für Selbstzahler
Neben den häufigsten Standardtherapien gibt es noch zahlreiche weitere Therapieformen wie Musik-, Kunst-, Reit- oder Delfintherapie, aber auch die anthroposophische Heileurythmie oder die Osteopathie. Viele von ihnen müssen selbst bezahlt werden (Tiertherapien), bei manchen aber lohnt auch hier eine Nachfrage bei der eigenen Krankenkasse, da einige die Kosten teilweise oder auch ganz übernehmen (z. B. bei der Heileurythmie).
Vorsicht vor schwarzen Schafen
Wer alternative Therapien für sein Kind nutzen will, sollte einige Dinge beachten: Der Anbieter sollte kein Geheimnis um seine Ausbildung und Qualifikation machen. Auch wenn allzu einfache, unklare oder absonderliche Ursachen für eine Auffälligkeit genannt werden, sollte man stutzen. Am Beginn einer seriösen Therapie steht eine ausführliche Untersuchung. Gute Anbieter beziehen die Eltern mit ein, erläutern die Behandlungsziele und die Art der Behandlung. Sie erstellen außerdem einen Therapieplan, der Zeitabschnitte angibt, in denen der Behandlungserfolg überprüft wird. Dabei gilt als Orientierungshilfe: Nach drei Monaten sollte man Fortschritte sehen können.
Kinder: Therapie mit dem richtigen Therapeuten
Erster Ansprechpartner ist der Kinderarzt. Er kann Eltern ein Rezept ausstellen bzw. eine Therapie empfehlen. „Bei der Auswahl der richtigen Methode wird überlegt, in welchem Bereich das Problem vorrangig liegt“, erklärt Physiotherapeutin Meidow. „Denn bei vielen Störungen kommen gleich mehrere Therapieformen in Frage“. Hier sollten Eltern ruhig auch schauen, welche Angebote es in ihrer Nähe gibt und dort nachfragen. „Wenn eine physiotherapeutische Praxis zum Beispiel Ergotherapie anbietet, kann man das entsprechende Rezept auch dort einlösen.“ Fast genauso wichtig wie die Therapieform sei, ob die betreffende Praxis auf Kinder spezialisiert ist und ob die Chemie zwischen Kind und Therapeut/In stimme.
Vielerorts gibt es auch spezielle Frühförderzentren, oft auch als „Sozialpädiatrische Zentren“ oder “Sonderpädagogische Beratungsstellen Frühförderung“ bezeichnet. Hier haben sich Therapeuten aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammengeschlossen. Es werden Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten, -verzögerungen und Behinderungen betreut. Eltern können sich dabei von Therapeuten und auch von Ärzten beraten lassen. Angeboten werden meist Ergo-, Physio- sowie Sprachtherapie und Psychomotorik, manchmal auch die Familientherapie.