Stillen – so wird es ein Vergnügen
Sein Baby zu stillen bedeutet viel mehr, als es einfach nur mit gesunder Nahrung zu versorgen. Stillberaterin Ines Hubert erklärt, wie das Stillen für Mama und Kind von Anfang an stressfrei und entspannt verläuft.
Zunächst muss die innere Einstellung stimmen
Davon konnten Mütter vor 30 Jahren nur träumen – heute ist keine stillende Frau mehr mit ihren Fragen und Problemen allein. Nachsorge-Hebammen, Stillgruppen und -beraterinnen stärken ihnen den Rücken. urbia fragte Stillberaterin Ines Hubert nach ihren Erfahrungen und den besten Kniffen und Tipps, damit das Stillen ein möglichst uneingeschränktes Vergnügen wird. Die Mitarbeiterin der La Leche Liga Deutschland lebt in Berlin und hat drei Kinder.
urbia: Mit welcher Einstellung sollte eine Frau an das Stillen herangehen?
Hubert: Sie sollte sich nicht erst nach der Geburt mit dem Thema Stillen beschäftigen, sondern schon während der Schwangerschaft darüber etwas lesen und sich vor allem auch Adressen bereitlegen, wo stillende Frauen Beratung finden. Damit im Falle von Problemen alle Informationen gleich greifbar sind und die Stillende schnell Hilfe bekommt. Wichtig ist aber auch, dass sie davon überzeugt ist, dass das Stillen gut klappen wird. Auf keinen Fall sollte man sich etwas anderes einreden lassen. Manche fürchten zum Beispiel, dass das Stillen bestimmt nicht funktionieren wird, weil zum Beispiel die eigene Mutter auch Probleme hatte. Aber das ist Unsinn.
Fast jede Frau kann stillen
urbia: Kann jede Frau stillen?
Hubert: Es gibt fast keine Frauen, die nicht stillen können, es sind gerade mal zwei oder drei Prozent, bei denen es aus irgendwelchen Gründen wirklich nicht klappt.
urbia: Welche Kniffe helfen, Stillprobleme von Anfang an zu vermeiden?
Hubert: Der beste Einstieg ins gute Stillen ist, dass man sich genau überlegt, wie will ich den Start gestalten. Ob man zum Beispiel nicht vielleicht gleich ambulant entbinden möchte und dann nach Hause geht, weil das Stillen in der häuslichen Atmosphäre meist besser klappt. Aber ob nun in der Klinik oder zu Hause, das Wichtigste ist: Von Anfang an immer anlegen. Die Devise heißt Stillen, Stillen und nochmals Stillen – auch nachts. Dabei sollte man nicht auf die Uhr gucken und irgendwelche bestimmten Zeiten oder Abstände im Kopf haben, sondern intuitiv handeln, dem eigenen Instinkt vertrauen. Wenn ein weinendes Baby sofort angelegt wird, gibt ihm das Kraft und Selbstvertrauen.
urbia: Welches sind die Kardinalfehler, die unerfahrene Frauen oft machen?
Hubert: Es wird oft zu früh der Schnuller oder das Fläschchen gegeben. So entsteht leicht Saugverwirrung beim Kind, die sich schleichend bis hin zum Stillstreik entwickeln kann, bei dem das Baby die Brust dann völlig verweigert und überhaupt nicht mehr trinken will.
Auch sollte das Kind immer nah bei der Mutter sein. Viele haben heute die Mentalität, das Kind wegzulegen, ins eigene Bettchen oder Zimmer, oder in den Kinderwagen. Aber das Baby gehört zur Mutter. Auch unterwegs ist ein Tragetuch nicht nur praktischer, sondern gibt dem Kind Wärme und Nähe. Kinder, die im Tragetuch liegen, sind fast immer ruhig, weil sie zufrieden sind.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die richtige Körperhaltung beim Stillen und auch beim Wickeln und Heben des Kindes. Viele Rückenprobleme ließen sich so vermeiden. Aber oft sitzen die Mütter verkrampft beim Stillen, oder beugen sich krumm über die Wickelkommode. Um nicht nur den Rücken, sondern auch die Seele zu entspannen, ist Gymnastik auf dem Pezzi-Ball ein ganz tolles Mittel. Gymnastik auf dem Pezziball ist vor allem dann auch wichtig, wenn die Mutter ihr Kind im Tragetuch transportiert. Viele Mütter verzichten wohl deshalb auf das Tragetuch, weil sie Angst vor Rückenproblemen haben. Mit dem Pezziball kann man Rückenproblemen vorbeugen.
Nur nicht zu schnell aufgeben!
urbia: Und welche Fehler werden oft von Seiten der Ärzte und Krankenschwestern in Bezug auf das Stillen gemacht?
Hubert: Die geben manchmal zu schnell auf, wenn’s am Anfang nicht gleich klappt, und füttern z.B. eine Glucose-Lösung zu. Obwohl auch die paar Tropfen Vormilch, die in den ersten Tagen kommen, völlig ausreichen. Sobald aber künstliche Hilfsmittel wie Zusatznahrung, künstliche Sauger oder Beruhigungssauger ins Spiel kommen, stellen sich oft auch die Probleme ein. Auch sollte bei wunden Brustwarzen nicht so schnell zum Stillhütchen gegriffen werden, lieber kann das Stillen kürzer, aber häufiger erfolgen. Die Schwestern müssten auch mehr darauf achten, dass das Kind korrekt, also in richtiger Position, angelegt wird. Dann würden wunde Brustwarzen oft gar nicht erst entstehen.
Es wird oft im Krankenhaus einfach zuviel Kontrolle ausgeübt, man sollte mehr auf das Gefühl der Mutter setzen und ihr ggf. auch Mut machen, dass es bald besser klappen wird mit dem Stillen. Am ungünstigsten ist aber, dass die Kinder in manchen Krankenhäusern noch über Nacht getrennt von der Mutter schlafen müssen, oder dass sie immer wieder aus dem Zimmer müssen, wenn z.B. die Mutter untersucht wird oder isst. Manchmal werden die Kinder schon abends der Mutter weggenommen, weil am nächsten Morgen der Kinderarzt kommt und die Kinder schon bereitliegen sollen. Das finde ich nicht gut.
Auch manche Kinderärzte sprechen viel zu schnell von Zufüttern und Milchersatznahrung. Die Frauen bekommen suggeriert, dass diese Möglichkeit schnell bei der Hand ist, und es das Selbstverständlichste von der Welt sei, bei Problemen gleich zuzufüttern. Dem Stillen wird oft keine ausreichende Zeit und Chance gegeben.
urbia: Was ist dran am Stilltee?
Hubert: Die Erfahrung zeigt, dass die Inhaltsstoffe wie Fenchel, Kümmel und Brennnessel durchaus milchfördernde Wirkung haben. Wie bei vielen natürlichen Mitteln gilt aber auch hier: Die Wirkung lässt mit der Zeit nach. Man sollte den Tee also nicht ständig trinken, sondern wirklich nur bei Bedarf, wenn das Kind z.B. einen Wachstumsschub hat, und man die Milchmenge steigern möchte. Generell reicht es, wenn die Frau ihrem Durst entsprechend Mineralwasser trinkt.
Adressen
La-Leche-Liga (LLL) Deutschland e.V., Postfach 65 00 96, 81214 München, Info-Hotline Tel.: 06851/25 24 (Die LLL bietet Gruppentreffen, telefonische Beratung, Info-Material und Bücher an). Internet: www.lalecheliga.de.
Bund Deutscher Hebammen, Postfach 1724, 76006 Karlsruhe,Tel.: 0721/9 81 89-0
Bund Freiberuflicher Hebammen, Am Alten Nordkanal 9, 41748 Viersen,Tel.: 02162/35 21 49
Bund Deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC e.V, ElkeSporleder, Delpweg 14, 30457 Hannover, Tel.: 0511/ 46 58 49.
Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS), Gertraudgasse 4, 97070 Würzburg, Tel.: 0931 / 57 34 93 (800 Stillgruppen bundesweit). Internet: www.stillen.org.