Kinder machen glücklich!
Wenig Schlaf, wenig Freiheit, viel Alltag: Wenn Eltern über ihr Familienleben sprechen, kommen oft die positiven Seiten zu kurz. Dabei würden Mütter und Väter meist nie wieder tauschen. In unserem Artikel erzählen sie, warum Kinder glücklich machen.
Nie mehr ausschlafen - das soll Glück sein?
Eltern und kinderlose Menschen leben nur scheinbar auf demselben Planeten. In Wahrheit trennt eine unsichtbare Wand ihre Welten, und auch ihre Sprache ist nur auf den ersten Blick dieselbe. Kinderlose verstehen zum Beispiel nicht, warum man eine Familie mit einem Spontanbesuch am Tag vor deren Abreise in die Ferien nicht wirklich erfreuen kann („Wieso? Ihr könnt doch morgen früh noch schnell packen!“). Auch, warum Eltern von Kleinkindern klagen, dass sie morgens nie ausschlafen können, bleibt ihnen rätselhaft („Dann sagt doch den Kindern einfach, dass sie morgens ruhig sein sollen!“). Überhaupt können Menschen, die bewusst keinen Nachwuchs möchten, manchmal nur schwer nachvollziehen, wie man sich Kinder eigentlich antun kann: Nie mehr ausschlafen, kein Trip mehr mit dem Flieger nach Bali, stattdessen vollgespuckte Tücher und nasse Bettlaken im Wäschekorb - das soll das Glück sein? Ja!, finden fast alle Eltern, die urbia gefragt hat, ob Kinder glücklich machen.
Glück ist das Lachen eines Kindes
Das Glück im Leben mit Kind kann man dabei nicht dingfest machen, es blitzt im Alltag einfach auf. „Kinder sind etwas Einmaliges, jedes ist anders und man kann so viel Neues entdecken. Sie sind einfach ein Überraschungsei“, fasst Jenny ihre Freude an ihrer zweijährigen Tochter zusammen. „Das ist das Glück: Das denke ich mir jeden Abend wenn mein Mann mit den Kinder tobt und beide vor Freude quietschen“, berichtet Susann, Mutter von zwei Kindern (1 und 6). „Ich habe mit meinen zwei Kindern etwas Wichtiges wieder entdeckt, nämlich das Erstaunliche in den kleinen Dingen zu erkennen“, erzählt eine Mutter mit dem Nick „Lenn“ in einer Mail an urbia. „Wir haben noch nie so viel gelacht in unserem gemeinsamen Leben, wie seit wir Eltern sind!“, schwärmt Eike über das Leben mit ihrer Tochter (20 Monate). „Das Tollste an den Kindern ist ihre ständige ‚Freu-Bereitschaft’“, lächelt Eckehart, „ich bin immer ganz erstaunt, über was sich meine zwei (4 und 10) alles freuen können. Lauter kleine Dinge, über die ich als abgebrühter Erwachsener meist hinweg sehe.“ „Das Leben ist einfach reicher. Reicher an Erfahrungen, an Erlebnissen“, beschreibt dagegen Sabine.
Dass Kinder mehr Tiefe ins Leben bringen, findet auch Susanne Wieseler: „Seit ich Kinder habe, versuche ich Fragen nach dem Woher und Wohin zu beantworten, mache mir Gedanken über Gott und Engel. Erkläre ihnen Himmel und Erde“, so die Autorin des Buches „Einfach Kinder kriegen – wie Familie glücklich macht“. Und eine Userin mit dem Nick „Tixtax“ schreibt an urbia: „Mein dreijähriger Sohn hat mein Leben verändert. Ich kann nur sagen: Mit ihm habe ich keine Glücksmomente, sondern er ist mein Glück!“
Klagen über die Kinder liegen im Trend
Angesichts dieser enthusiastischen Berichte ist es umso erstaunlicher, dass wir Eltern uns offenbar lieber im stillen Kämmerlein an unserem Nachwuchs freuen. Nach außen hin tun wir bekanntermaßen meist eher das Gegenteil: Über Kinder und den Stress mit ihnen ausgiebig zu jammern gehört fast zum guten Ton. „Man neigt dazu, über die nervigen Dinge mit Kind zu reden und die tollen Dinge als gegeben hinzunehmen und nicht zu erwähnen“, hat auch Eike beobachtet. „Wenn ich was Tolles von meinen Kindern erzählen möchte, komme ich mir ein bisschen vor, als wollte ich angeben. Und auch einige Mütter fassen das so auf und fühlen sich teilweise persönlich angegriffen. Negative Dinge hören andere Mütter hingegen anscheinend lieber. Das finde ich sehr schade“.
Das Klagen über die Belastungen mit Kindern hat sich dabei schon fast zum Trend ausgewachsen, der seine Krönung findet in dem umstrittenen Buch „No Kid“ der Französin Corinne Maier. Sie bezeichnet Kinder dort als „kleine Monster“, deren größtes Vergnügen darin bestehe, das Leben ihrer Eltern unerträglich zu machen, und behauptet: "Ein Kind ist dafür da, um dich davon abzuhalten, Spaß zu haben. Es wird krank sein, wenn du endlich einmal ausgehen willst, um dich zu amüsieren. Es wird dir auf die Nerven gehen, wenn du deinen Geburtstag mit Freunden feiern willst." An ihrem 40. Geburtstag sei sie deshalb zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht noch einmal Kinder bekäme, wenn sie noch mal von vorn anfangen könnte. Im Internet gibt es gar inzwischen eigene Foren, wo ein Hohelied auf die Kinderlosigkeit gesungen wird, wie zum Beispiel bei "Big kids no kids" (Große Kinder, keine Kinder).
Eltern wollen nie mehr tauschen
Eltern, die sich dennoch an ihren Kindern freuen – und das sind laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts 83 Prozent – verdrängen dabei keineswegs die Nachteile, die die Elternschaft haben kann. „Ich vermisse manchmal die Spontaneität und die Möglichkeit, am Wochenende wegzugehen, ohne mir darüber Gedanken machen zu müssen, wer Anouk betreut und ob ich am nächsten Tag länger schlafen kann“, berichtet Eike. „Ich bin mit Kind viel glücklicher, aber auch oft genervter. Aber ich möchte mit meinem damaligen kinderlosen Leben nie wieder tauschen!“, betont eine Userin mit dem Nick „alinabuzi“, Mutter einer Zweieinhalbjährigen. Und auch eine Forumsmutter mit dem Kürzel „RR“ betont: „Klar gibt es Zeiten, da sehnt man sich nach dem alten Leben zurück. Aber die anderen überwiegen meist.“ Und Sabine findet, dass Geduld angesagt ist: „Ausschlafen oder spontan ins Kino und in die Kneipe gehen - das sind Einschränkungen, die irgendwann aufgehoben sind, wenn unser Sechsjähriger älter ist.“ „Wenn ich Freunde ohne Kinder sehe, denke ich schon noch an mein früheres Leben. Ob ich es aber zurück haben möchte? Ich glaube nicht“, überlegt Heike, Mutter von zwei Mädchen (5 und 7). „Ich bin immer neidisch auf die vielen Fernreisen meiner Eltern. Ich habe noch so wenig gesehen. Und dann das Ausschlafen. Am Wochenende um 6 Uhr den Tag zu beginnen, fällt mir oft schwer“, erzählt Jonas Mutter Hanna.
Angesichts soviel Realitätssinn läuft die Behauptung des Psychologen Daniel Gilbert (Harvard) völlig ins Leere, wenn er sagt, eigene Kinder hätten einen negativen Effekt auf das tägliche Glücksempfinden, und wenn Eltern das Gegenteil behaupteten, dann weil sie die frustrierenden Erlebnisse des Alltags verdrängten. Die von urbia befragten Eltern haben Verdrängung gar nicht nötig. Elternsein ist anstrengend - aber ohne Kinder glücklich zu werden, ist auch sehr anstrengend. Wer etwa in der beruflichen Karriere seine Befriedigung suche, der opfere diesem Ziel ebenfalls sehr viel, betont auch der Rotterdamer Soziologieprofessor Ruut Veenhoven, Direktor der weltweit größten Datensammlung zum Thema Glück.
Wenn sich das Glück verflüchtigt hat?
Manchmal kommt Eltern aber tatsächlich das Glück (vorübergehend) abhanden. Fast alle Kinder haben Entwicklungsphasen, in denen sie die Geduld und den Optimismus ihrer Eltern stark strapazieren. Leicht entsteht dann ein Teufelskreis aus Überforderung, Ungeduld, negativer Erwartung ans Kind – und schnell wird der Nachwuchs nur noch als anstrengend und unkooperativ wahrgenommen bzw. verhält sich tatsächlich so, weil er die Unzufriedenheit der Eltern spürt und unglücklich ist. Damit die Glücksmomente nicht zu rar werden und das Familienboot auf stürmischer Fahrt nicht zu kentern droht, geben Psychologen Eltern sechs Rettungsanker mit auf die Reise:
- Das Bild vom Kind gerade rücken
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Wer genervt ist, wartet förmlich darauf, dass das Kind sich wieder „schwierig“ verhält, und meist dauert es auch nicht lang, bis das passiert. Hier hilft es, einen großen Schritt zurückzutreten und den Nachwuchs mit neuem Blick anzuschauen. Dieser darf dabei ruhig selektiv sein: Negatives Verhalten kann man möglichst übersehen und stattdessen jedes auch noch so kleine positive Signal freudig würdigen. Solche kleinen Leuchtzeichen sendet jedes Kind, und wenn es noch so sehr vom „Trotz“ geschüttelt wird. Eine gute Idee, ein selbst erfundenes Wort, eine Handreichung, etwas, das es ohne Aufforderung macht – alles ist eine Würdigung wert, was auch hilft, wieder positiver aufs Kind zu schauen.
Dieser neue Blick darf aber auch wörtlich verstanden werden: Wenn man sein Kind mehrmals am Tag liebevoll ansieht und innig anlächelt (auch wenn sich das anfangs blöd anfühlt), verändert dies die Stimmung zwischen Eltern und Kind, so der Rat von Kinderpsychologen. Der Nachwuchs reagiert manchmal irritiert, fühlt sich aber bald wohler unter diesem liebevollen Blick und verhält sich dadurch auch anders.
- Zeit füreinander nehmen
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Früher war der Lebensmittelpunkt der Familie überwiegend zu Hause. Heute zerfällt diese gemeinsame „Basisstation“: Job, Kindergarten, Schule, Hobbys - jeder ist tagsüber viele Stunden woanders. Umso wichtiger sind gemeinsame Familienzeiten, wo alle zusammenkommen oder etwas unternehmen (die tägliche gemeinsame Mahlzeit am Familientisch, Wochenend-Aktionen, ein fester Spiele- oder Bastelabend pro Woche). Familienglück braucht Gemeinsamkeit, um Blüten treiben zu können.
- Das Wir-Gefühl stärken
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In vielen Familien lebt man eher nebeneinander her als miteinander. Jeder geht seinen Pflichten oder Interessen nach und beschäftigt sich innerlich mit seinen eigenen Problemen. Eine glückliche Familie dagegen besteht aus einem Team, bei dem jeder das Gefühl hat, von den anderen wahrgenommen und geliebt zu sein. Wir-Gefühl ist aber etwas, das man pflegen muss. Es wird gestärkt durch gemeinsam verbrachte Zeit jeder Art, aber auch, indem man schlicht das Wort „Wir“ bewusst öfter verwendet. „Wie können wir Niklas unterstützen, damit er im Kindergarten schneller Freunde findet?“ „Welche Wandfarbe sollten wir fürs Wohnzimmer verwenden?“
- Familienkonferenzen
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Dem Wir-Gefühl hilft es auch, wenn die ganze Familie sich regelmäßig verabredet. Zum Beispiel einmal pro Woche zur „Tafelrunde“, bei der alles besprochen wird, was gerade beschäftigt: Die Wochenplanung, die Aufgabenverteilung, Probleme im Kindergarten, Streit unter den Geschwistern. Hier können Unzufriedenheiten, aber auch schöne Erlebnisse Worte finden. Wichtig ist, dass jeder ausreden darf (auch die Kleinsten) und niemand den anderen angreift. Wenn die Familie auf diese Weise regelmäßig „reinen Tisch“ macht, bekommen Zufriedenheit und Glück Raum.
- Rituale
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Rituale, also liebgewonnene, feste Gewohnheiten, die allen Spaß machen, sind zuverlässige “Glücks-Bringer” für Familien. Ob es eine Tobe-Runde abends mit den Eltern ist, oder das gemeinsame Anschauen von „Willi will’s wissen“ bei einer Schüssel Mikrowellen-Popcorn – Rituale sind feste Trittsteine in den unruhigen Stromschnellen des Alltags.
- Routine durchbrechen
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Zeit ist chronisch knapp und der Tag muss gut durchorganisiert sein – da scheint kaum Platz für Glücksmomente. Eine Chance bekommen sie dennoch, wenn eine Familie die Dinge einmal ganz anders macht als sonst: Das abendliche Kinderfernsehen ausfallen lassen und alle zu einer Märchenrunde auf dem Sofa versammeln, das Kochen einmal dem Papa und den Kindern übertragen, morgens etwas früher starten und den Weg zum Kiga zu Fuß machen. Oder auch einfach mal etwas Albernes tun: Sich mit einem Kochtopf auf dem Kopf an den Tisch setzen, alles rückwärts sagen, Gegenständen neue Namen geben und versuchen, dies eine Mahlzeit lang durchzuhalten.
Kinder haben nicht die Aufgabe, uns glücklich zu machen
Im gemeinsamen Leben mit Kindern warten viele Glücksmomente. Doch vor einem Fallstrick muss noch gewarnt werden: Kinder haben nicht die Aufgabe, uns glücklich zu machen – eher gilt das Umgekehrte. „Wir Eltern sollten unsere Kinder glücklich machen! Kinder sollten um ihrer selbst willen geboren werden und nicht für das Glück der Eltern“, betont Anton Bucher, Professor für Religionspädagogik an der Universität Salzburg und erklärt: “Wenn wir mit unseren Kindern leben, dürfen wir das Glück nie direkt anzielen. Ich würde Glück gern als Beiprodukt betrachten. Glück hängt stark zusammen mit Aktivität und Bewegung. Füreinander da sein, etwas unternehmen, ein Baumhaus bauen - da kann Glück entstehen“.
Am glücklichsten sind vielleicht sogar diejenigen Mütter und Väter, die auch ohne Kind glücklich geworden wären: Sie verbringen zwar gern Zeit mit ihren Kindern. Aber sie achten gut auf sich selbst, geben sich nicht ganz für die Kinder auf, verfolgen ihre eigenen Ziele, pflegen ihre Freundschaften, lassen sich bei der Kinderbetreuung oder im Haushalt helfen und gehen auch mal allein oder als Paar weg, kurz: Sie fühlen sich selbst für ihre Zufriedenheit zuständig und machen sie nicht von Anderen abhängig, auch nicht von den Kindern.
Literaturtipp
Susanne Wieseler: „Einfach Kinder kriegen. Wie Familie glücklich macht“, Ullstein Verlag 2006