Bye bye Supermama
Jede Frau hat ihre ganz persönliche Illusion davon, wie sie souverän zur Supermama avanciert. urbia-Autorin Kathrin Wittwer beispielsweise plante perfekte Spielspaßstunden für Mutter und Kind. Drei Jahre später hat die Traumwolke ordentlich Luft verloren – und Platz für eine neue Vision gemacht.
Zwerge fürs gute Gewissen
„Bum bum boin boin“, trällert mein Kind gleich nach dem Aufstehen fröhlich durchs Haus und schlägt sich dabei gekonnt unrhythmisch gegen Stirn und Brustkorb. „Sicki Sicki Pats Pats“ folgen mit Handreiben respektive Klatschen auf die Oberschenkel. Der Ohrwurm wird mich den ganzen Tag begleiten, flankiert von anderen eingängigen Liedfetzen: „Faul sein is wundasön, dum di da di dum“. Ich stimme so überzeugt wie notenfern mit ein – und genieße angesichts eines restlos zufriedenen Kindes das selten so absolut sichere Gefühl, als Mutter nicht völlig zu versagen.
Es ist Freitag, und das heißt in unserem Leben: Es ist der Tag nach dem Musikkurs. Einmal pro Woche komme ich meiner erzieherischen Aufgabe nach, meine Tochter in ihrer individuellen Entwicklung sachgemäß zu fördern, und da sie schon recht zeitig musikalische Präferenzen offenbarte, schlagen wir immer donnerstags zur „Zwergenmusik“ auf. Ich überwinde mich zum Schunkeln im Kreis, zu „Lalalalalala“ und „Holla di hi ha, holla di ho“, zu Tanz mit Tüchern und zum öffentlichen Mitsingen. Warum das alles? Weil mein Kind es liebt und in der Folge eben auch daheim den halben Tag glücklich vor sich hin singt. Dafür verbuche ich für mich einen fetten Pluspunkt auf meinem „ Gute Mutter sein“-Konto. In meinem Hinterkopf schüttelt da allerdings schon wieder das ewig nörgelnde Gewissen vorwurfsvoll den Kopf, denn es weiß: Ganz uneigennützig ist mein vorbildliches Engagement in dieser Sache nicht. Nicht zuletzt heißt die Musikstunde für mich nämlich auch: ein Nachmittag weniger, an dem ich mir Spannung, Spiel und Spaß aus dem Kreuz leiern muss, um das Kind in den fünf Stunden zwischen Kita und Zubettgehen bei Laune zu halten.
Pure Werbespot-Idylle
Ich bin gern Mutter, und ich gebe zu: Ich habe keine Lust auf klassische Kinderbespaßung. Dabei habe ich mir in der Kinderwunschphase immer ausgemalt, wie toll ich mal mit dem Nachwuchs spielen und basteln würde, wie wir ausgelassen zu Musik tanzen oder bei weltentdeckerischen „Warum?“-Fragen die Köpfe neugierig in spannende Bilderbücher stecken würden. Wir würden die Nachmittage bei Wind und Wetter draußen verbringen, im Wald, am Meer, oder auch mal eingemummelt kuschelnd auf dem Sofa. Wir würden alles sammeln und bestaunen, was uns über den Weg liefe, durch Pfützen hüpfen und Schmetterlinge jagen, Sandtörtchen backen und jauchzend zusammen Rutschen hinunter sausen. Kurzum: Mit den Bildern meiner geplanten Mutter-Tochter-Idylle hätte man locker einen dieser schmalztriefenden Werbespots für Familienversicherungen drehen können. Sehnsüchtig wartete ich darauf, dass das Kind alt genug sein würde für das Privileg, mit mir, der absolut perfekten Spielgefährtin, all diese wunderbaren Stunden zu erleben, die watteweich in meinem Traumarchiv lagerten.
Und dann kam die gnadenlose Realität des Alltags. Erst stellte ich fest: Ich bin keine Spielplatzmutter. Es macht mir schlicht keinen Spaß, Nachmittag für Nachmittag ewig im Sand zu buddeln und Förmchen zu füllen, stundenlang Schaukeln anzustoßen oder dem Dreikäsehoch zwecks Erfüllung meiner Aufsichtspflicht über ein Klettergerüst nach dem anderen zu folgen. Dann lernte ich: Was im Freien schon schlimm genug ist, steigert sich „Indoor“ angesichts eines orkanartigen Lärmpegels und oktoberfestwürdigen Wuselfaktors weit über meine Schmerzgrenze. Schließlich musste ich auch bei Heimaktivitäten klein beigeben: Ich kann einer Teilnahme am regelmäßigen Fünf-Uhr-Tee im Kinderzimmer-Café kaum was abgewinnen, bin angesichts einer prall gefüllten Kiste mit Bastelutensilien oft enttäuschend unkreativ und finde es zum Einschlafen langweilig, meinem Kind beim Ausdauerkrikelkrakeln zusehen zu müssen. Ebenso wenig kann ich mich tagtäglich in kindlicher Begeisterung auf die Wunder am Wegesrand stürzen: Strecken sich die 500 Meter zwischen Kita und Heim über wesentlich länger als 20 Minuten, weil das Kind jedes Blümchen pflücken oder zigmal das Laufrad reparieren muss, kriege ich nicht selten das große Kribbeln. Nebenbei dämmert auch mir so langsam, wie viele „Warum?“-Fragen ein Kleinkind pro Tag stellen kann, bei denen ein automatisierter Antwortengenerator („Darum“, „Ist eben so“, „Weiß nicht“, „Weil ich das sage“) deutlich hilfreicher wäre als jedes Lexikon.
Bummeln statt buddeln
Nach Monaten der Selbstgeißelung und ebenso verbissener wie erfolgloser Versuche, meine Interessen mit denen des Nachwuchses zu synchronisieren, stand ich kurz davor, mir jegliche mütterliche Kompetenzen abzuerkennen. Da traf ich auf Tom Hodgkinson und seinen „Leitfaden für faule Eltern“. Quintessenz des Buches: Lasst die Kinder machen, was sie wollen – und macht vor allem selber, was ihr wollt. So werden die Kinder selbstständig und nebenbei alle Beteiligten glücklich. Ohne Zwang, ohne Verrenken, ohne Interesse heucheln oder Quälerei, die weder Eltern noch Kinder froh machen. Gelegentlich trifft man sich an gemeinsamen Punkten und hat echte Freude mit- und aneinander. Was für eine Erleuchtung! Mich beschlich beim Studium meiner neuen Bibel zwar der Verdacht, ihr Verfasser suchte in erster Linie nach ausreichend kinderfreier Zeit, um dem Alkohol zu frönen. Lässt man das aber mal beiseite, hat er verdammt noch mal Recht: Warum soll ich mich denn eigentlich auch schlecht dabei fühlen, die Vorlieben meiner Dreijährigen nicht zu teilen? Sie hat ja ebenso wenig Lust auf meine. Weder entspanntes Sonnen im Strandkorb noch Spaziergänge im Park, genießerische Mahlzeiten oder gar Ausschlafen stehen auf ihrer Hobbyliste, die mit meiner bis dato nur eine sehr überschaubare Anzahl an Schnittstellen teilt. Wir sind ein Spitzenteam beim Eierkuchenmanschen (ich kippe, sie rührt), einen Zoobummel bringen wir durchaus nett über die Bühne (sie sitzt, ich schiebe), und zu meinem Glück hat auch sie eine Vorliebe für „Komm und sing mit Pittiplatsch“ und „Jumbo und der Rüsselschnupfen“ entwickelt, die Musik und Bücher meiner Kindheit, die ich gern mit ihr zusammen anhöre und -sehe (ich lese vor, sie quatscht dazwischen).
Den Luxus an viel gemeinsamer Zeit weiß ich trotzdem wohl zu schätzen und mag es sehr, mein Kind um mich zu wissen. Ich bin rundum zufrieden, wenn sie zu meinen Füßen spielt und als Kindergärtnerin auf einem Blatt Papier abhakt, welche Puppe heute anwesend ist, während ich gemütlich mit einem Buch im Sessel sitze. Ich liebe es zu beobachten, wie sie mit Papa auf scheppernden Plastikinstrumenten musiziert. Mir geht das Herz auf, wenn sie mit anderen Kindern eifrig in ihrer Spielküche werkelt. Ich staune über jeden ihrer Fortschritte, die kreativen Wortschöpfungen und ihre nur scheinbar unlogischen Gedankengänge, die mich oft umhauen. Aber haben wir mal wieder ein weiteres Wochenende ohne den werktätigen Papa verbracht, ist schon gegen 12 Uhr der gefühlt 1.000ste „MAMA!“-Ruf erschollen, und hat sie dann auch noch meine zwingend nötige Mittagschlaf-Verschnaufpause gekippt, sehe ich mein Kind am Montagmorgen doch besonders gern wieder in die Kita gehen.
Faul statt perfekt
Statt mich also weiter als Daueralleinunterhalter zu versklaven, lasse ich die Träume nun Träume sein – und kultiviere lieber in Würde meine neue Vision von einer friedlichen Koexistenz, gemixt aus eigenem Spielraum und Nähe, aus Zweisamkeit und Gesellschaft, aus Müßiggang für mich und Zwergenmusik fürs Kind. Letzteres geht – oh Wunder – meist recht pragmatisch mit ihrer faulen Mutter um und lässt sich mitnichten die Lust am eigenen Spielen vermiesen. Auch, dass es bisher weder zu Tobsuchtsanfällen noch tränenreichen Vorwurfsszenen kam, mildert mein sporadisch aufflackerndes schlechtes Gewissen. Von Zeit zu Zeit raunt es kritisch „Vernachlässigung“ und „Rabenmutter“ und gesteht meinem „Gute Mutter sein“-Punktekonto nur ein moderates Wachstum dafür zu, mich gnädig wenigstens den hartnäckigsten Bespaßungswünschen der Kleinen zu widmen.
Aber wer weiß? Es ist ja noch längst nicht aller Tage Abend. Vielleicht nähern mein Kind und ich uns ja zukünftig noch stärker an. Vielleicht lümmeln wir in ein paar Jahren tatsächlich gemeinsam auf dem Sofa und schmökern simultan in unseren Lieblingsbüchern. Vielleicht werden wir aber auch einfach weiterhin jede unsere ganz eigenen Interessen verfolgen – und hoffentlich beide zufrieden damit sein. Bis auf weiteres trällere ich jedenfalls aus tiefstem Herzen mit dem Kind mit: „Ja ja ja, faul sein ist wunderschön!“
Zum Weiterlesen
Tom Hodgkinson: „The Idle Parent. Why Less Means More When Raising Kids.“
Zu Deutsch: „Leitfaden für faule Eltern“. (TB erscheint im März 2011)