Väter sind heute den Kindern viel näher!
Sind Väter heute wirklich anders als früher? Auch heute haben sie ja aus beruflichen Gründen wenig Zeit für die Familie. Wir haben den Jungenpädagogen und Buchautor Reinhard Winter gefragt, warum Väter für Söhne so wichtig sind und was einen guten Vater ausmacht.
Jungen haben ein Bedürfnis nach Halt und Orientierung
Ihr neues Buch heißt: „Jungen brauchen klare Ansagen“. Können Väter das besonders gut?
Ach, das würde ich so nicht sagen. Also angeboren ist das Klarsein auch den Vätern nicht. Vielleicht haben es manche Väter aufgrund ihrer Erfahrungen einfacher, sich zu behaupten oder auf den Punkt zu kommen. Aber damit tun sich auch viele Väter schwer, sie eiern eher rum. Und andere Väter wieder schießen weit übers Ziel hinaus. Sie werden streng und rigide. Beides ist nicht gut.
Sie ermutigen in Ihrem Buch zu positiver Führung, wie meinen Sie das?
Zunächst ist dabei wichtig, dass Jungen – mehr als Mädchen – wirklich ein Bedürfnis nach Halt, Orientierung, nach Sicherheit haben. Dafür brauchen sie Eltern, die in ihrer Elternrolle sind, die Führung übernehmen und einigermaßen wissen, wo es lang geht. Was Jungen trägt, ist der Halt in der Beziehung zu den Eltern. Deshalb ist diese Führung vor allem eine liebevolle Beziehungsqualität, mit einem anderen Wort: persönliche Autorität. Die braucht keine Drohungen, Strafen oder Angst. Sie ist etwas Lebendiges, auch im Begrenzen oder Konsequent sein eine Form elterlicher Liebe. Diese Führung entsteht durch die Haltung und durch das Handeln der Eltern. Dabei treffen sich die Bedürfnisse: Alle benötigen klare Beziehungen. Und nur solche Eltern, denen es selbst gut geht, können auch gute und klare Eltern sein.
89 Prozent der deutschen Väter arbeiten Vollzeit und die große Mehrheit möchte das auch so, laut einer aktuellen Forsa-Umfrage. Erleben Söhne heute eigentlich andere Väter als früher?
Ja. Sicher nicht alle, aber sehr viele. Väter sind heute den Kindern viel näher. Und das merken Jungen, sie gehen dann ihrerseits mit ihren Vätern tiefer in Beziehung. Väter haben, anders als früher, heute selbst ein stärkeres Interesse am Vatersein: Sie wollen wirklich und aktiv Vater sein und sie wissen auch immer mehr, dass sie wichtig sind. Dementsprechend leiden viele Männer an der starken beruflichen Belastung. Sie haben ihr eigenes Thema mit der Vereinbarkeit.
Eine neuere australische Studie besagt: Extrem lange Arbeitszeiten von Vätern schaden besonders den Söhnen. Warum glauben Sie, ist das so?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Söhne sind schlechter mit dem persönlichen, nahen Männlichen versorgt und vertraut. Dadurch fehlt ihnen auch in ihrer Psyche etwas, ihr Männliches bleibt unsicher. Eine gute Vaterbeziehung stärkt Jungen in ihrem Männlichsein. Mädchen sind da in der gleichen Situation mit dem Weiblichen besser versorgt. Dazu kommt, dass Frauen mit solchen Männern selbst eher traditionell orientiert sind. Sie überhöhen das Männliche und trauen sich nicht, den Jungen zu führen, ihm Grenzen zu setzen oder ihre Mithilfe einzufordern. Das schadet Jungen, sie werden zum Beispiel großspurig, kommen in eine Art männlichen Größenwahn und damit ecken sie in der Schule an, wo Leistung und Sozialverhalten zählen. In dieser Situation fühlen sie sich ohne die männliche Bodenstation, die sie runterholt, selbst wie der Herr im Haus. Solche Phänomene kennen wir auch hier, wo es überhöhte Männlichkeitskulturen gibt.
Neben dem Rollenvorbild sind Väter offenbar beliebte Spiel- und Tobe-Partner, was machen sie sonst noch anders?
Väter unterscheiden sich ja untereinander erheblich, und machen nicht alles gleich. Aber tendenziell sind Väter für das entdeckende Spielen sehr wichtig, also erleben, was geht oder wie es geht. Väter haben oft auch etwas mehr Abstand, sie sind gelassener, und sie machen Kindern Mut, geben ihnen Zutrauen. Väter sind dabei schon auch für spannende Aktivitäten wichtig. Aber viel bedeutsamer ist ihr emotionaler Beitrag: Wenn der Junge vom Vater einfühlsam begleitet wird, geht er sicherer durchs spätere Leben. Das gilt für Mädchen im übrigen genauso
Feiern Sie das Glück des Vaterseins!
Können emanzipierte Mütter dies alles ihren Söhnen nicht auch geben?
Naja, vieles schon, aber sicher nicht alles. Das müssen und sollen sie auch gar nicht. Eine Frau lebt die Beziehung zum Jungen eben als Frau, und das ist gut so. Frauen müssen, wie auch Männer, nicht die traditionellen Rollen und die alten Arbeitsteilungen annehmen. Aber sie dürfen sich unterscheiden. Und das tun sie aus ihrer Geschlechtlichkeit heraus, auch körperlich. Allein dadurch, dass der Junge im Bauch der Mutter gewachsen ist, von ihr geboren und gestillt wurde, entsteht eine besondere Qualität der Beziehung. Und ebenso dadurch, dass der Vater den Jungen gezeugt hat, dass er aus der Jungenperspektive der erste Mann in seinem Leben ist.
Stimmt die gängige Aussage, am Anfang seien die Mütter im Zentrum, die Väter würden erst später wichtig?
Nein, das ist ein Irrtum, der die Väter in den ersten Jahren zu Beifahrern degradiert. Beide sind von Anfang an wichtig, damit sich die Beziehung gut entwickeln kann. Deshalb gibt es ja auch den Trend zur Erziehungszeit bei Vätern schon in den ersten Monaten. Natürlich sind die Aufgaben unterschiedlich und die Farben der Beziehungen unterscheiden sich. Und wenn der Vater den Sohn von Anfang an nah und liebevoll begleitet, kommt er als Junge, als männlicher Jugendlicher und als Mann viel besser ins und durchs Leben.
Wie geben Väter überhaupt ein gutes Vorbild für ihre Söhne ab?
Da müssen wir wieder etwas vorsichtig sein, weil die Väter ganz verschieden sind. Mit Vor-Bildern, z.B. aus den Medien, sind Jungen außerdem gut versorgt, woran es mangelt, sind nahe, mitfühlende Beziehungen zum Mann, also zuerst zum Vater. Wichtig ist, dass die Väter eine gute Beziehung zum Jungen aufbauen. Und dann öffnet sich ein sehr weites Feld: Indem Väter sich ihrer Bedeutung als Vater bewusst sind und ihr Vatersein ernst nehmen. Indem sie sich weiter entwickeln, sich auch mit ihren Schwächen konfrontieren. Indem sie wissen, wer sie sind, auch als Mann, und sie nicht versuchen, etwas zu spielen. Genauso aber, wenn sie nicht perfekt sein wollen.
Ist die positive Definition von Männlichkeit heute nicht sehr schwierig geworden?
Ja, das ist es. Alte Vorstellungen vom dominanten, stahlharten, immer funktionierenden Mann sind zum Glück überholt. Trotzdem werden Jungen solche Bilder in Medienbildern und Spielwelten immer noch als Ideale vermittelt. Gleichzeitig haben sich in der Gesellschaft kaum Alternativen entwickelt. Gerade die Pädagogik hält sich da vornehm zurück. Damit werden Jungen mit dem Auftrag, „männlich“ sein zu müssen, völlig alleine gelassen. Kein Wunder, dass sie mit ihren Männlichkeitsexperimenten häufig auch scheitern.
In der Schule werden Jungen ja oft einfach als Störer wahrgenommen, sind sie das?
Um Gottes willen, nein! Das ist eine schlimme Zuschreibung. Viele Jungen bewältigen die Schule ausgesprochen gut. Immer wieder sind Jungen auch die Leistungsträger in Klassen. Aber es stimmt auch, dass es insgesamt viel mehr Jungen sind, die in der Schule mit ihrem Verhalten Probleme machen. Geschätzt sind von den auffälligen Schülern 80 bis 90 Prozent Jungen. Die Gründe, warum Jungen stören, sind ganz verschieden: Mal ist es einfach schlechter Unterricht, mal mangelt es an der Autorität bei den Lehrkräften, dann sind es auch eigene Probleme, der Stress mit anderen Jungen, kulturelle Schwierigkeiten mit der Integration oder familiäre Erziehungsprobleme. Da muss jeweils genau hingesehen werden. Ein Aspekt von vielen, ein ganz wichtiger ist, dass Jungen ein stärkeres Bedürfnis nach guter, naher, persönlicher Autorität haben. Und wenn sie das nicht erfüllt bekommen, proben sie den Aufstand, sie können ihre Grenzen nicht einhalten, ihre Impulse nicht kontrollieren, sich nicht einordnen oder sie werden aufsässig und renitent. Das alles liegt aber nicht an den Jungen, sondern an den Erwachsenen, die sie umgeben. Also muss sich hier was ändern!
Welche positiven männlichen Eigenschaften können Väter ihren Söhnen vorleben?
Es gibt ja keine Eigenschaften, die ausschließlich männlich oder weiblich sind, also auch keine besonderen positiven männlichen Eigenschaften. Wenn ein Mann stark oder verantwortungsvoll, humorvoll oder aktiv ist, ist er das als Mann, wenn er traurig oder entspannt ist ebenso. Der Vater kann dem Jungen so gesehen zeigen und vorleben, wie er ist, und damit: wie er als Mann ist. Als sein Prototyp des Männlichen hat das für den Jungen eine hohe Bedeutung. Insofern ist es gerade wichtig, dass der Vater sich nicht nur traditionell männlich gibt, sondern seine ganze große Palette von Eigenschaften zeigt, wie er eben ist.
Zum Abschluss: Ihr Statement/Ratschlag/Tipp für Väter zum Vatertag?
Nehmen Sie es zum Anlass, ihr Glück des Vaterseins und ihre Bedeutung als Vater zu feiern und sich auch als Vater feiern zu lassen – so wie es für sie passt und mit denen, die für sie dazu passen!
Zur Person:
Reinhard Winter ist Diplompädagoge und, arbeitet mit Jungen, Eltern und Menschen, die mit Jungen arbeiten. Er hält auch Vorträge, zum Beispiel zum Thema seines aktuellen Buches, Jungen brauchen klare Ansagen. Die Termine 2014:
- 9. Juli, Freudenstadt, Familienzentrum, 19.30 Uhr
- 6. Oktober, Kassel, Volkshochschule, Café am Bebelplatz, 19.30 Uhr
- 22.10., Bregenz (AT), Vorarlberger Kinderdorf, 20.00 Uhr
- 23.10., Hechingen, ev. Gemeindezentrum, 20.00 Uhr
- 20.11., Reutlingen, Haus der Familie, 19.30 Uhr