Erfahrungsbericht

Warum ich mein Kind wieder aus der Kita nahm

Alles war gut. Ein Kita-Platz in der Altersgruppe der unter Dreijährigen gefunden, die Rückkehr in den Job geregelt. Dann begann für den kleinen Lukas die Kita-Eingewöhnung und für seine Eltern der Albtraum eines misslungenen Kita-Starts. Lukas‘ Mutter erzählt.

Autor: Annette Schneider*

Gute Vorzeichen für einen optimalen Start

Kita-Eingewöhnung lief schief
Foto: © iStock, SolStock

Als wir nach einem aufreibenden Kita-Casting endlich die erlösende Zusage von der katholischen Kita unserer Wahl bekamen, waren wir total erleichtert! Wir konnten Lukas für den Sommer in der Gruppe der unter Dreijährigen anmelden. Alles schien eine runde Sache: Schon beim allerersten Kennenlernbesuch in der Kita Anfang des Jahres– da war Lukas anderthalb Jahre – fühlte er sich wohl und hat sich ganz unbefangen unter die Gruppenkinder gemischt, während ich mit der Kita-Leiterin sprach. Er war ganz glücklich und ich musste ihn geradezu überreden, nach einer Weile mit nach Hause zu gehen. Voller Zuversicht habe ich daraufhin mit meinem Arbeitgeber über meine Rückkehr in den Job nach der Eingewöhnung gesprochen. Was konnte jetzt noch schiefgehen?

Beim Info-Abend Eingewöhnung vorgestellt

Einige Zeit später kam von der Kita eine Einladung zu einem Infoabend für alle Eltern von Kita-Neulingen: Darin hat uns die Kita-Leiterin erklärt, dass die Eingewöhnung nach dem so genannten Berliner Modell abläuft: An den ersten drei Tagen begleitet ein Elternteil das Kind in die Kita und bleibt auch die ganze Zeit bei ihm. In Phase Zwei verlassen Mama oder Papa für eine Weile die Kita, während ihr Kind dort bleibt. Die Zeit, in der das Kind alleine bleibt, wird von Tag zu Tag weiter verlängert, bis es schließlich einen ganzen Vormittag alleine in der Kita bleiben kann. Wie lange das bis dahin dauert, sei von Kind zu Kind verschieden. Okay, dachte ich mir. Kein Problem. Schließlich hatte ich auch mit einer wochenlangen Eingewöhnung gerechnet und wollte erst im Herbst arbeiten gehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten mein Mann Thomas und ich uns überhaupt keine Gedanken gemacht, dass es mit Lukas' Kita-Start Probleme geben könnte. Wir haben uns auch nicht gewundert, dass wir Lukas' Bezugserzieherin noch nicht kennengelernt hatten. Und auch nicht darüber, dass nach dem Infoabend keine Termin für ein Einzelgespräch mit den jeweiligen neuen Eltern geben sollte, in dem wir dann mehr über unsere Familie und über Lukas' Persönlichkeit hätten erzählen können. Erst rückblickend denke ich, dass so etwas vielleicht die folgende Krise verhindert hätte.

Jetzt geht’s los: Die ersten drei Kita-Tage

Wie aufregend! Endlich ging's los. In der ersten Eingewöhnungswoche gab es drei Schnuppertage für uns, an denen ich mit Lukas jeweils für rund eine Stunde gemeinsam in der Kita war. Außer uns waren auch noch zwei andere Kleinkinder mit Mama oder Papa da, so dass in jeder Gruppe ein Kind plus Elternteil in den Kita-Alltag reinschnuppern konnte. Lukas fand das alles immer noch toll und aufregend. Die Kinder und die Erzieherinnen wirkten nett, es lief also gut an.

Zweite Eingewöhnungswoche: Das Drama beginnt

In der zweiten Eingewöhnungswoche starteten wir mit den ersten Trennungsversuchen innerhalb der Kita: Am ersten Tag bin ich nur ein paar Minuten lang aus dem Gruppenraum gegangen, Lukas blieb alleine zurück – kein Problem. Doch am nächsten Tag war alles anders. Wieder bin ich aus dem Raum gegangen. Lukas hat das sofort registriert, angefangen zu weinen und mich gesucht. Seine Erzieherin hat mich dann zurückgeholt. Irgendwie fing mit dieser Situation auch der ganze folgende Stress an: Kaum war ich zurück, begann Lukas eine kleine Rauferei mit einem anderen Kind und schien emotional aufgewühlt. Auch am nächsten Tag habe ich wieder einen – recht erfolglosen – Trennungsversuch von Lukas gestartet. Bei der Gelegenheit ist mir auch aufgefallen, dass mein Sohn überhaupt nicht die Nähe seiner Erzieherin suchte, als ich im selben Raum war. Es schien, als ob er sie gar nicht als seine Bezugsperson ansah.

Dritte Eingewöhnungswoche: Weinen, schreien, Verzweiflung

Unser Wochenplan sah jetzt vor, den ersten echten Trennungsversuch zu starten. Lukas' Bezugserzieherin war inzwischen krank geworden und ihre Vertretung sollte uns dabei begleiten. Ich erzählte ihr von meinen Befürchtungen, dass Lukas' sich wahrscheinlich schwer damit tut, wenn ich die Kita für eine kurze Zeit verlassen und er mich nicht sieht. Dennoch bestand sie darauf, das nach dem üblichen Schema durchzuziehen. Schon beim ersten Anlauf hat Lukas dann wie am Spieß geschrien und geweint – das wurde auch bei den folgenden Trennungsversuchen nicht besser. Im Gegenteil: Am Ende dieser super anstrengenden Woche war er völlig aus dem Häuschen und ich verzweifelt. Für mich stand fest: Das mache ich so nicht mehr mit! Wir brauchen eine individuellere Lösung bei der Eingewöhnung.

Das erste Krisengespräch und seine Folgen

Lukas' Erzieherin war noch immer krank, als wir ein erstes Krisengespräch zu unserer Eingewöhnungsproblemen mit der Vertretungserzieherin hatten. Ihr Vorschlag: Wenn Lukas weiterhin so viel weint und sich nicht beruhigen lässt, sobald ich ihn in der Kita alleinlasse, sollte mein Mann Thomas ab der nächsten Woche den Elternpart bei der Eingewöhnung übernehmen – und zwar nach diesem Muster: Gemeinsames Ankommen in der Kita-Gruppe, später für weniger als eine Stunde die Kita verlassen, Lukas wird in der Zeit von der Erzieherin getröstet falls er weint, wenn's gar nicht mehr geht, ruft sie meinen Mann an und er kommt früher zurück. So starteten wir in die nächste Woche: Doch mein Mann, der dafür extra Urlaub nehmen musste, hat schon nach dem ersten Tag berichtet, wie schrecklich es für Lukas und ihn war: Thomas war nur 20 Minuten lang weg, und Lukas hat die ganze Zeit über nur geweint und gebrüllt, bis die Erzieherin seinen Papa angerufen hat. Wie furchtbar: Die Idee der Erzieherin, mit dem Einsatz von Lukas' Papa mehr Ruhe in die Sache zu bringen, ist überhaupt nicht aufgegangen. Und nicht nur das, wir hatten das Gefühl, dass Lukas in der Zwischenzeit ein kleines Trauma aufgebaut hatte und schon panisch reagierte, wenn Thomas nur aus dem Raum ging. Er war dann einfach nicht mehr zu beruhigen und akzeptierte nach wie vor seine Erzieherin nicht als seine Bezugsperson, von der er sich beruhigen lassen wollte.

Ich war einfach nur frustriert: Warum klappte das mit Lukas nicht? Wer war schuld an der Katastrophe? Wir oder die Kita? Warum lief das bei anderen Kita-Neulingen so viel besser? Ich war so verzweifelt, unsicher – und bekam von der Kita kein Feedback, mit dem ich etwas anfangen konnte, keine individuelle Begleitung oder Tipps für unseren erzieherischen Umgang mit der Situation.

Das zweite Krisengespräch -ohne Happy End

Die zweite Krisenbesprechung war dann für mich ein Wechselbad der Gefühle: Einerseits versicherte uns Lukas' Bezugserzieherin, dass unser Sohn einfach nur unter einem sehr starken Trennungsschmerz leidet und sie überzeugt ist, dass er ihn überwinden kann. Das hat mich beruhigt. In dem Gespräch habe ich auch erstmals eine persönliche Ansprache von ihr erlebt: „Es tut mir leid, dass es so gekommen ist!" – das hat gut getan. Dazu hat sie uns quasi gestanden, dass sie zuvor noch nie eine Eingewöhnungsphase begleitet hat und keine Erfahrung mit schwierigen Situationen hat. Dass sie trotz Lukas' Abwehr gegen die länger werdenden Trennungsphasen aufs Durchhalten bestanden hatte, war der Rat ihrer erfahreneren Kolleginnen. Das hat uns geschockt. Zu alldem kam noch eine unverhohlene Kritik an unserer Erziehung: „Wie halten Sie es eigentlich mit der Konsequenz?", fragte die Erzieherin und gab uns damit wohl eine Mitschuld an der verfahrenen Lage. Von der Kita-Leiterin kam der Vorschlag, Lukas doch in einer anderen Gruppe der Kita aufzunehmen, ausgerechnet bei einer Erzieherin, die für die harte Durchhalteparole plädiert hatte. Das kam für uns aber nicht in Frage! Deshalb haben wir dann unseren Sohn schweren Herzens bei der Kita abgemeldet, mit der festen Zusicherung eines Regelgruppenplatzes im nächsten Sommer. Es tut gut, diesen Platz sicher zu haben, aber ob wir das nach alledem wirklich wollen?

Ist Lukas einfach ein schwerer Fall?

Seither grüble ich hin und her und suche nach Antworten: Warum hat die Aktion nicht geklappt? Seine Erzieherin ist doch nett und Lukas ein aufgeschlossenes, freundliches Kind – aber irgendwie ist er nie so richtig mit ihr warm geworden. Bei wirklich allen Kindern von Freunden und Bekannten hat die Kita-Eingewöhnung früher oder später funktioniert. Ist Lukas einfach nur ein besonders schwerer Fall? Ich fühle mich so verunsichert, weil ich keine Familie kenne, bei der es ähnlich problematisch gelaufen ist! Inzwischen glaube ich auch, dass Lukas mit der ganzen Situation komplett überfordert war. Das ist auch verständlich, denn außer ein paar Gelegenheiten, bei denen seine Großeltern in unserer Abwesenheit auf ihn aufgepasst haben, war er noch nie ohne uns mit jemand anderem alleine. Es hat sich einfach bislang nicht ergeben und wir wollten das auch ganz bewusst nicht. Im Nachhinein ist mir klar, dass das für ihn einfach keine guten Voraussetzungen für die erste dauerhafte Fremdbetreuung waren. Auch wenn das vielleicht bei anderen Kleinkindern mit ähnlichen Vorbedingungen besser lief – Lukas ist eben Lukas und hat so reagiert, wie er es empfunden hat.

Nach der Kita-Abmeldung: Wie es jetzt weiter geht

Bei allem, was schiefgelaufen war, um den Wiedereinstieg in meinen Job – den ich zum 1. Oktober geplant hatte –, musste ich mir erfreulicherweise keine Gedanken machen: Denn ich bin genau in der Zeit zwischen Eingewöhnung und geplanter Job-Rückkehr völlig ungeplant schwanger geworden. Deshalb habe ich jetzt meine Elternzeit auch erstmal verlängert, so kann ich Lukas wieder alleine betreuen. Dadurch haben wir jetzt Zeit gewonnen, uns in Ruhe zu überlegen, wie seine Betreuung im nächsten Jahr aussehen könnte. Okay, den Platz in der katholischen Kita haben wir sicher, aber da gibt es auch noch eine weitere Option für einen Platz in einer privaten Elterninitiative: Sie ist mit rund 40 Kindern eher klein und überschaubar, das wäre bestimmt gut für unseren Sohn. Außerdem wird dort immer nur ein neues Kind in einer Gruppe aufgenommen, so dass die Erzieherinnen mehr Zeit haben, sich um den kleinen Neuzugang zu kümmern. Unsere Entscheidung ist noch nicht gefallen – wir schauen jetzt erst einmal in Ruhe, wie sich Lukas weiter entwickelt und mit welcher Lösung wir uns als Familie am wohlsten fühlen.

 

*Name von der Redaktion geändert