Bio-Essen für die ganze Familie?
Oft fragen sich Eltern bei der Umstellung auf Beikost erstmals, ob ihr Baby Bio-Nahrung bekommen soll. Aber ist Bio-Essen wirklich besser? Und ist Bio für die ganze Familie nicht zu teuer? Hier geht es um die Vorteile von Bio-Kost und die üblichen Vorbehalte dagegen.
Für unsere Kinder nur das Beste - also Bio?
Bevor sie Mama oder Papa werden, ist es vielen Menschen egal, was sie essen. Hauptsache, es kommt schnell auf den Tisch. „Doch ich beobachte oft, dass sich diese Einstellung ändert, wenn das erste Kind geboren wird“, erzählt Annette Sabersky, Ernährungswissenschaftlerin und Autorin des Ratgebers „Bio drauf – Bio drin?“ „Ganz plötzlich interessieren sich die frischgebackenen Eltern dafür, wo die Nahrungsmittel herkommen, was drinsteckt und was es mit Biokost auf sich hat.“ Und wer das schon als Single oder junges Paar getan hat, der tut es jetzt doppelt und dreifach: „Wir haben auch vor der Schwangerschaft auf Bio-Qualität geachtet, aber jetzt sind wir noch konsequenter“, erzählt die mit Zwillingen schwangere Tina (31) aus Mainz. „Ich fühle mich einfach in der Verantwortung, für meine Kinder nur das Beste zu kaufen. Überteuerte fünf Euro für einen Brotaufstrich aus dem Bioladen würde ich nicht ausgeben, aber Produkte von Tegut oder mit Bio-Siegel sollten es schon sein. Wenn mal eine Sorte Bio-Fleisch nicht vorrätig ist und ich normales nehmen muss, ist mir beim Kochen und Essen richtig übel vor lauter schlechtem Gewissen.“ Wie kann das sein? Welchen Zugewinn für das Wohl unserer Kinder versprechen wir uns denn von einer Ernährung mit Bioprodukten?
Was ist eigentlich Bio?
Die Zeiten, in denen sie abfällig „Ökozeug“ genannt wurden und in Form von schrumpeligen Äpfeln aus dem miefigen Hofladen in den Jutebeutel wanderten, sind vorbei. Heute gilt Bio als Trend und wir verbinden mit dem Begriff gesunde, frische, geschmackvolle Kost – oft allerdings, ohne genau zu wissen, ob das so stimmt und was sie denn gesünder, frischer und geschmackvoller als die konventionell hergestellte Ware macht. Wer definiert das überhaupt? Bio (biologisch, kontrolliert biologisch) und Öko (ökologisch, kontrolliert ökologisch) sind als geschützte Begriffe nur auf Produkten erlaubt, die den Anforderungen der so genannten EG-Öko-Verordnung genügen. Sie bestimmt, dass die landwirtschaftlichen Zutaten in einem Bio-Produkt zu mindestens 95 Prozent aus ökologischem Landbau stammen müssen. Ökologischer Landbau heißt wiederum: einem natürlichen Lebenskreislauf folgen. So werden zum Beispiel die Tiere mit ökologischem Futter gefüttert, das möglichst auf hofeigenen Feldern angebaut wurde, die mit den Ausscheidungen der Tiere gedüngt werden. Gentechnik und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sind verboten, die Tiere haben Auslauf und sehen Tageslicht, und bei der Verarbeitung der Produkte wird ihr natürlicher Zustand möglichst erhalten – so sind nur 47 von 300 Zusatzstoffen, die in konventionellen Lebensmitteln stecken, erlaubt. Und das ist in Sachen Vorschriften längst nicht alles (ausführliche Infos unter www.bio-siegel.de).
Welche Bio-Siegel sind "echt"?
Seit dem 1. Juli 2012 gibt es EU-weit verpflichtend ein Bio-Siegel. Dieses EU-Bio-Logo müssen alle vorverpackten, ökologisch erzeugten Lebensmittel aus der EU tragen. Produkte dürden dieses Siegel tragen, wenn höchstens 0,9 Prozent gentechnisch verändertes Material enthalten ist und mindestens 95 Prozent der Inhaltsstoffe aus Öko-Anbau kommen. Nur dieses ist echt, nicht etwa irgendeins der Phantasiezertifikate, die Hersteller konventioneller Nahrung gerne auf ihre Produkte kleben, damit sie schön gesund aussehen (z.B. in Form eines Frosch-Etiketts auf Bananen).
Was ist bei den Bio-Premium-Produkten besser?
Für den Bio-Einsteiger klingt das überzeugend, doch vielen Bio-Überzeugungstätern und d Anbauverbänden ist es viel zu lasch. Sie fordern und setzen deutlich strengere Standards, die sie mit ihren eigenen Bio-Labels (Zeichen) garantieren. Bio ist also nicht gleich Bio. Man kann durchaus vergleichsweise günstiges Discounter-Bio kaufen wie es laut Ökobarometer 2016 66 Prozent der Bio-Kunden tun und sicher sein, ein Mindestmaß an Bioqualität nach der EG-Öko-Verordnung zu bekommen. Doch es geht noch gesünder – mit den so genannten Premium-Bio-Produkten der Anbauverbände (Links zu den Anbauverbänden am Ende diese Artikels).
Ist Bio-Baby-Nahrung gesünder?
Vom Premium-Bio bis zum Discounter-Bio halten die Produkte nun Einzug in die Vorratsschränke junger Familien. Wenn das erste Kind geboren wird, steht zunächst die Babynahrung im Mittelpunkt der häuslichen Öko-Debatte: Sind denn Gläschen, Milch und Brei in der Bio-Variante gesünder? „Sicher ist sicher“, meint Sabine (34), Büroangestellte und Mutter von zwei Kindern aus Berlin, „Ich habe mich in Sachen Babynahrung immer auf Bio verlassen. Unterwegs gab’s Bio-Brei von Alnatura und zu Hause habe ich Brei selbst gemacht – aus Bioware. Und das hat dazu geführt, dass ich auch heute noch Bioobst und -gemüse kaufe, sofern es der Geldbeutel zulässt, weil es uns um Welten besser schmeckt. Und die Kinder knabbern zwischendurch ganz selbstverständlich Dinkelstangen.“ Ein schöner Effekt, für den sich Geld und Mühen in den Säuglingsmonaten gelohnt haben. Doch Ernährungswissenschaftlerin Annette Sabersky gibt bei Babynahrung trotzdem Entwarnung: „Die Produkte von Hipp haben sowieso alle Bio-Qualität, Alete bietet besonders im Bereich Gemüse- und Menügläschen eine Auswahl an Bioprodukten, Milupa macht Bio-Getreidebrei. Für alle anderen Produkte der Babykosthersteller gelten zumindest weit strengere Vorschriften und Kontrollen als für die normalen Lebensmittel.
Diätverordnung, Beikostverordnung, EG-Richtlinie für Säuglingsanfangsnahrung
Darüber hinaus erlegen sich die Hersteller weitere Bestimmungen auf, um auf Nummer sicher zu gehen.“ So verspricht zum Beispiel die Firma Nestlé (Alete) bis zu 250 Kontrollen pro Gläschen und die Firma Milupa die Untersuchung von 12 000 Proben pro Jahr. Beruhigend zu wissen, dass Babynahrung nicht nur dem Lebensmittelrecht und den damit verbundenen Kontrollen unterliegt, sondern auch der so genannten Diätverordnung und ihren zusätzlichen Kontrollen. Sie schreibt für Babykost unter anderem niedrigere Grenzwerte an Schadstoffen und Nitrat (kann im Körper zu Nitrit umgewandelt werden und dann das Blut daran hindern, Sauerstoff aufzunehmen) vor als für andere Lebensmittel. Zusätzlich gibt es die so genannte Beikostverordnung und die EG-Richtlinie über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung – insgesamt also jede Menge Vorschriften zugunsten der Gesundheit unserer Babys.
Einziger Kritikpunkt von Annette Sabersky an der Babykost ohne Bio-Siegel: „Man muss mit Zusätzen wie Eisen oder Vitamin C leben. Die sind in Bio-Gläschen, mit Ausnahme von Vitamin B1, nicht erlaubt.“ Andere Experten kritisieren die Zugabe von Salz und Gewürzen in den konventionellen Gläschen, weil Babys zunächst den natürlichen Geschmack von Obst und Gemüse kennenlernen sollten – Bio-Gläschen enthalten höchstens Gartenkräuter.
Bio für die ganze Familie: Einfach zu teuer?
Wenn aus dem Baby ein Kleinkind wird, das am Familientisch mitisst, müssen die Eltern ihre Entscheidung überdenken: Wollen wir es weiter mit Biokost versorgen oder nicht? Lautet die Antwort „ja“, bedeutet das von nun an Bio für die ganze Familie. Und diese Umstellung fällt vielen schwerer als die Entscheidung für Bio-Babygläschen. Bioladen-Betreiber berichten, dass das Interesse an Bio bei den eben als Neukunden gewonnenen jungen Eltern rapide nachlässt, sobald die Gläschenkost-Phase des Babys vorbei ist. So gibt, im Supermarkt mit ihren Kindern Emma (6) und Leo (5) angehalten, die Berliner Hausfrau Diana (33) zu, dass sie sich heute für eine Packung Möhren und drei Bananen aus konventioneller Herstellung entschieden hat. Und warum? „Ich hab’ gestern schon Bioobst gekauft. Heute will ich mir noch eine Zeitschrift gönnen, das wird mir dann zu teuer.“
Deutsche sparen gerne bei der Ernährung
Zu teuer, dieses Argument wird in Zusammenhang mit Bio oft gebracht. Dabei hätten in Dianas Supermarkt die Bio-Möhren nur 50 Cent mehr gekostet, die Bio-Bananen 30 Cent. Zusammen 80 Cent für die Gesundheit. Annette Sabersky rechnet in ihrem Ratgeber vor, dass Bio-Kartoffeln für eine vierköpfige Familie durchschnittlich zwei Euro mehr im Monat ausmachen. Natürlich kommen einige Euro mehr zusammen, wenn man zum Beispiel auch noch auf Biofleisch zurückgreift, das manchmal doppelt so teuer wie konventionelles Fleisch ist. Aber: Wenn es darum geht, dem Nachwuchs das Verkehrsflugzeug von Playmobil für 50 Euro zu schenken, diskutieren wir ja auch nicht groß über den Preis. Nur gesunde Ernährung darf aus Sicht der Deutschen nicht viel kosten, sie geben im Europavergleich am wenigsten Geld für Lebensmittel aus.
Bio-Produkte kaufen und trotzdem sparen
Sparen ist ja grundsätzlich nicht schlecht (nur eben nicht am falschen Ende), und man kann es auch bei Bio-Produkten tun. Wer mit dem preiswerteren Discounter-Bio nicht leben mag, dem hilft ein Tipp der Mainzer Mama in spe Tina: „Unser Supermarkt reduziert das Bioobst und -gemüse immer samstags vor der Wochenendschließung, damit es gut weggeht und am Montag Platz für superfrische Ware ist. Dann ist Bio auch nicht mehr teurer als normale Lebensmittel und sogar billiger als irgendwelche Feinschmeckerprodukte.“ Einer der Vorschläge von Expertin Annette Sabersky lautet, die Fleischmenge im Gulaschrezept zu halbieren und mehr Gemüse zuzugeben. Außerdem muss ja auch nicht unbedingt von Apfelmus bis Zitronenlimonade alles Bio sein, was in den Vorratsschrank kommt. Ganz subjektiv entscheidet Tina, die bis zum Mutterschutz als Landschaftsarchitektin gearbeitet hat: „Wichtig ist mir Bio bei Fleisch, Wurst, Milch, Käse, Gemüse und Obst. Nicht so wichtig ist es mir bei Konserven, Brotaufstrichen, Müsli und Süßigkeiten. Letztere schmecken in der Biovariante einfach scheußlich.“
Gemüse, Obst, Fleisch und Milch: Das sollte Bio sein
Ernährungswissenschaftlerin Annette Sabersky rät demjenigen, der aus Kostengründen nach der Devise „ein bisschen Bio muss reichen“ lebt, sich vor allem bei Gemüse und Obst sowie Fleisch und Milch für Bioprodukte zu entscheiden. „Das Grünzeug enthält nachweislich weniger Pestizide, das Fleisch schmeckt besser und stammt von artgerecht gehaltenen Tieren. Milch enthält nachweislich mehr gesunde Fettsäuren. Der Vorteil von verarbeiteten Bioprodukten zu herkömmlichen ist dagegen nicht immer ersichtlich. Oftmals werden die konventionellen Zutaten nur gegen Biozutaten ausgetauscht. Das ist zwar ein Plus, aber die Rezeptur bleibt fast dieselbe.“ Kurz und gut: Das Argument „Bio ist mir zu teuer“ zählt eigentlich nicht.
Sind herkömmliche Produkte nicht auch gut genug?
Aber es gibt noch andere Vorbehalte. So fragen sich viele Bio-Einsteiger, ob man in einem Land wie Deutschland, in dem es für alles und jedes unzählige Vorschriften gibt, nicht davon ausgehen kann, dass auch konventionell hergestellte Lebensmittel reglementiert und kontrolliert sind. Und tatsächlich unterliegen sie dem Lebensmittelrecht. Doch die geltende EU-Basisverordnung legt laut Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure die Verantwortung für die Kontrollen in die Hand der Hersteller. Demnach haben sie „die meisten Möglichkeiten, ein solches sicheres System aufzubauen“. Lebensmittelkontrolleure der Behörden greifen nur ein, „wenn die Unternehmen ihre Verantwortung zum Nachteil der Verbraucher nicht wahrnehmen.“ Aber das muss ja erstmal auffliegen. Eine Wächterfunktion haben hier Testmagazine wie Öko-Test und Stiftung Warentest übernommen, die bei Lebensmitteln regelmäßig Verstöße aufdecken. Seien es Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Gemüse und Obst, Bakterien in Hackfleisch oder Acrylamid in Kaffee und Keksen. Bei Bioprodukten sind die herstellerunabhängigen Kontrollen von Anfang an viel strenger: Zusätzlich zu den lebensmittelrechtlichen Maßnahmen prüfen Kontrolleure mindestens einmal im Jahr den gesamten Bio-Betrieb nach den Kriterien der EU-Öko-Vorschriften und werden dabei selbst von staatlicher Seite kontrolliert. Eine zweite Prüfung gibt es oft nach den Vorgaben der Anbauverbände wie Bioland und Demeter.
Bio-Skandale: Kann man in Bio-Produkte vertrauen?
Andere junge Eltern sind – wir betrachten immer noch die verbreiteten Vorbehalte gegen Bio – von den Mängeln verunsichert, die Warentests und Medienberichte auch an Bioprodukten immer wieder aufdecken (Beispiele aus 2009: künstliche Geschmacksstoffe in angeblicher Biolimonade, konventionelles Futter für angebliche Bioputen, zu wenig Auslauf für Legehennen angeblicher Bioeier). Doch diese „Bio-Skandale“ und die empörten Reaktionen darauf sprechen eigentlich eine positive Sprache. Sie zeigen, dass bei Bioprodukten von allen Seiten genau hingeschaut wird. Die Medien, die Warentester, die Verbraucher – keiner ist bereit, sich etwas vormachen zu lassen, und das erhöht den Druck auf die Hersteller, bei Bio besonders sorgfältig zu sein.
Nächster Punkt auf der Liste der Vorbehalte ist die eher verunsichernde als beruhigende Vielfalt an Studien zu Bioprodukten: So teilte die britische Food Standards Authority (FSA) noch im August mit, die Durchsicht von 162 wissenschaftlichen Artikeln aus den vergangenen 50 Jahren habe nur einige wenige Unterschiede bei den Nährstoffen in Bioprodukten und konventionell hergestellten Produkten gezeigt, und diese seien für die Gesundheit von geringer Bedeutung. Doch noch im selben Monat hielten der Deutsche Naturschutzring und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau mit neuen Studienergebnissen (europäisches Forschungsprojekt QLIF) dagegen: Demnach enthalten Ökoprodukte wie Kohl, Salat, Tomaten oder Kartoffeln gegenüber dem konventionellen Anbau doch deutlich mehr Gesundheit fördernde Antioxidantien, Vitamine und bioaktive Stoffe. Da bleibt der Verbraucher ratlos zurück: Wie kann es sein, dass sich die Studienergebnisse derart widersprechen?
Prof. Dr. Hartmut Vogtmann, der 1. Vizepräsident des DNR, erklärt: „Problematische Rückstände von Pestiziden, Wachstumsregulatoren, Schwermetallen und Nitraten in konventionellen Produkten werden in der Studie erst gar nicht berücksichtigt, da sie nach Ansicht der FSA nicht relevant für die Ernährung seien. Dabei sind die negativen chronischen Wirkungen bereits geringer Konzentrationen dieser Schadstoffe für Kleinkinder längst bekannt.“ Ökoprodukte schneiden gerade bei der Bilanz dieser gefährlichen Substanzen sehr gut ab. Auch Ernährungswissenschaftlerin Annette Sabersky rät, gerade provokante Studienergebnisse besonders kritisch zu hinterfragen: „Oft relativieren sie sich, wenn man sich den Versuchsaufbau genau anschaut. Zum Beispiel ist oft einfach die Stichprobe zu klein, um verallgemeinernde Aussagen daraus abzuleiten.“
Wir dürfen uns Biokost eben nicht als heiligen Apfel vorstellen, der direkt aus dem Paradies heruntergereicht wurde, sondern sollten sie sehen als das, was sie ist: ein Produkt, das Menschen machen. Und Menschen machen Fehler, sie müssen dazulernen. Alles in allem fällt die Öko-Bilanz trotzdem positiv aus.
Weitere Infos
Buchtipp: „Bio drauf – Bio drin?“ von Annette Sabersky (Südwest Verlag, 6,95 Euro)