Hilfe! Mein Kind kommt in die Pubertät
Wenn Triebe sprießen und sich Wutausbrüche häufen, dann ist sie da - die Pubertät. In unserer vierteiligen Serie beleuchten wir die besonderen Herausvorderungen, die in dieser Zeit auf Eltern zukommen. Im ersten Teil geht es darum, was sich nun verändert.
Die Pubertät fordert Eltern und Kinder heraus
Wenn Triebe sprießen und Wutausbrüche sich häufen, dann ist sie da - die Pubertät. Sie verläuft zwar innerlich und äußerlich individuell, und doch irgendwie auch immer gleich, denn sie wird das Eltern-Kind-Verhältnis grundlegend verändern. Waren die Eltern bis gestern noch die Idole im Kinderleben, wird jetzt alles, was sie sagen und tun, in Frage gestellt. Die Zeiten, in denen Eltern bestimmten und Kinder gehorchten, sind damit endgültig vorbei.
Für Jugendliche sind es die Jahre der Ablösung, des Erwachsenwerdens. Für ihre Eltern beginnt eine Zeit, die ihre Gelassenheit auf eine schwere Probe stellt und in der sie starke Nerven brauchen. Es gibt aber auch Mütter und Väter, die sich über die neue Selbstständigkeit ihrer Kinder freuen und das reifende Menschenkind unter ihrem Dach mit einer Mischung aus Faszination und Neugier betrachten. So oder so: Die Pubertät lässt keine Eltern-Kind-Beziehung ungerührt und fordert nicht nur Teenager dazu heraus, ihren Standpunkt immer wieder neu zu bestimmen und eine neue Form im Umgang mit dem anderen zu suchen.
Die urbia-Reihe zur Pubertät:
Innere und äußere Veränderungen
Unter Pubertät versteht man die körperliche und geistig-seelische Entwicklungsphase zwischen dem Kindesalter und dem Erwachsensein. Bei Mädchen liegt sie hierzulande ungefähr zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr, bei Jungen zwischen dem 12. und 20. Lebensjahr. Die Pubertät beginnt, wenn die Gehirnanhangdrüse ein Signal an den Körper sendet, Sexualhormone zu produzieren, durch die die Teenager geschlechtsreif werden. Parallel dazu verläuft ein seelischer Entwicklungsprozess, der die Gefühlswelt tüchtig in Unordnung bringt. Die kindliche Abhängigkeit und Identifikation mit den Eltern weicht dem Bedürfnis nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, Geschlechterrollen werden erprobt und gefunden, Liebe und Sexualität erkundet. Dazu gehört auch die erste Verliebtheit mit all ihren seelischen Hochs und Tiefs.
Für viele Teenager fangen die inneren Veränderungen äußerlich an: „Als sich Fabian zum zwölften Geburtstag ein Deodorant und Duschgel mit Herren-Duft wünschte, habe ich zwei befreundete Mütter von pubertierenden Jungs sofort gefragt, ob das normal ist“, erzählt heute – vier Jahre später – Sylvia Moll von den ersten Zeichen der neuen Zeit. Dann kam es für die Innenarchitektin und ihren 40-jährigen Mann Armin Schlag auf Schlag: „Wir durften Fabian in der Öffentlichkeit nicht mehr Muckel nennen, ihm nicht durch die Haare wuscheln und auf keinen Fall blöde Bemerkungen machen, wenn er heftig nach After Shave duftend am Wochenende zur Teenie-Disco radelte“, lacht die 37-Jährige Mutter. Ihre Gelassenheit hat sie sich im Laufe der Monate und Jahre hart erarbeitet. „Natürlich habe ich anfangs ohne Ende gegrübelt: Was, wenn er mit den falschen Leuten zusammen ist, wenn die Schule leidet und er uns nicht mehr erzählt, was ihn bewegt?“, so Sylvia Moll.
Einerseits loslassen, andererseits dasein
Die Sorge um die groß werdenden Kleinen treibt fast alle Eltern irgendwann einmal in eine Buchhandlung zum Regal mit den Erziehungs-Ratgebern. „Pubertät: Loslassen und Haltgeben“ heißt ein viel gelesenes Buch des für seinen erzieherischen Pragmatismus geschätzten Familienberaters Jan-Uwe Rogge. Er rät mitten im Sturm des Umbruchs zu mehr Gelassenheit und Respekt gegenüber den Heranwachsenden: „Drängen Sie sich nicht auf, aber stehen Sie zur Verfügung, wenn ihr Kind sie braucht. Lassen Sie sich aber nie an Orten blicken, die Jugendliche für sich reserviert haben.“ Denn auch und gerade in der Pubertät, so Rogge, brauchen Jugendliche Erwachsene, die sie an die Hand nehmen. Auch dann, wenn es ganz anders aussieht.
Im Hause Moll gab es eine Zeit, in der Streitgespräche um die Einhaltung von Regeln an der Tagesordnung waren. Immer und immer wieder versuchten Sylvia und Armin dem uneinsichtigen Fabian die Gründe für bestimmte Rahmenbedingungen zu erklären. „Einmal habe ich ihn angeschrien: ‚Wir wollen ja nur das Beste für Dich!’ – ein Satz, den ich nie, nie hatte sagen wollen“, erzählt Sylvia Moll. „Ach was, euch interessiert doch gar nicht, wer ich wirklich bin!“ hatte Fabian damals zurückgebrüllt und war Türen knallend in seinem Zimmer verschwunden.
'Euch interessiert doch gar nicht, wer ich wirklich bin!'
Erstaunlich, dass sich ausgerechnet nach diesem Wutausbruch bei den Molls einiges veränderte. Vor allem die Haltung der Eltern ihrem Sohn gegenüber. „Ich habe mich gefragt, ob er mit diesem Vorwurf nicht sogar Recht hat und wir inzwischen gar nicht mehr wissen, welche neuen, auch positiven Seiten seine Persönlichkeit dazu gewonnen hat“, sagt Sylvia Moll. So war Fabian mit 13 Jahren aus eigenem Impuls Greenpeace-Mitglied geworden. Er gab einem Nachbarskind unentgeltlich Latein-Nachhilfe und nahm jedes Mal einen mehrere Kilometer langen Umweg mit dem Rad in Kauf, um seine Freundin nach dem Ausgehen heil wieder zuhause abzuliefern. „All das hatten wir angesichts unseres ständigen verbalen Kräftemessens komplett ausgeblendet“, so Armin Moll. „Ich hab’ ihm in einer stillen Stunde gesagt, wie stolz ich auf ihn bin. Nicht auf das, was er tut, oder seine Leistungen in der Schule und im Sport. Sondern einfach auf ihn als Sohn. Ich war während dieser kleinen Ansprache sehr gerührt, Fabian nur gnadenlos cool. Er hat das Kompliment ohne mit der Wimper zu zucken entgegen genommen“, erzählt sein Vater weiter. Am nächsten Morgen hin dann ein dickes, rot angemaltes Herzchen an der Kühlschranktür. Das war seine Art, Danke zu sagen und Liebe zu zeigen.
Konflikte müssen sein
Anders als die Molls empfinden die meisten Eltern die Pubertät aber als eine einzige große Krise. Die Suche nach Ablösung von zuhause, die wachsende Kritik gegenüber ihrem erwachsenen Umfeld, allen voran den eigenen Eltern, das macht vielen Vätern und Müttern Angst, deckt eigene Unsicherheiten auf und sorgt damit für permanente, wenn auch notwendige Konflikte. Die Beziehung zwischen den Eltern und ihren Kindern wird neu definiert, mit ungewissem Ausgang. Patentrezepte dafür gibt es nicht, denn so einzigartig wie die Menschen als Kinder sind, so einzigartig ist auch ihre Entwicklung zum Erwachsenen. Ein kleiner Trost für gebeutelte Eltern: So sicher, wie diese Phase vorübergeht und etwas Neuem Platz macht, ist auch, dass die Grundlagen einer Eltern-Kind-Beziehung vor der Pubertät gelegt werden und nicht von ihr zerstört werden können. Vielleicht hilft ja auch die Erkenntnis, dass die Selbstständigkeit der Kinder eine neue Freiheit und Entlastung der Eltern von der ständigen Fürsorge bedeutet.
Bis zu dieser Wahrheit ist es ein weiter Weg. Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann rät in seinem Buch „Disziplin ohne Angst“ dringend dazu, unterwegs Gelassenheit zu üben und viele Dinge mit Humor zu nehmen. Bei wichtigen Problemen erreichbar zu sein, gleichzeitig aber auch Distanz einzuhalten.“ Gleichwohl wissend, dass sich das einfacher anhört, als es ist. Und dass die Kombination unlogisch erscheint. „Aber wir reden ja auch von Jugendlichen und von der Pubertät“, witzelt Bergmann mit ernstem Unterton. Während viele Eltern meinen, dass alle pubertären Konflikte ihren Ursprung im Denken und Handeln des Nachwuchs haben, plädiert Bergmann hingegen für eine kritische Selbstüberprüfung der Eltern: „Sie müssen einige Allmachtsfantasien aufgeben und sich zur Einsicht durchringen, dass sie das Leben ihres Kindes nicht länger vollständig kontrollieren und regulieren können. Ständige Disziplinierungsmaßnahmen sowie permanente Kontrolle hemmen die kaum begonnene Selbstständigkeit, machen es dem Kind schwerer als nötig, seine Individualität und Identität zu entdecken“, so Wolfgang Bergmann, selbst Vater von drei Kindern. Also machen die Eltern während der Pubertät ihrer Kinder auch eine Art von Entwicklung durch, in der sie lieb gewonnene Einsichten in Frage stellen und auch ihr Tun und Handeln kritisch beleuchten. Nicht das Schlechteste für viele Männer und Frauen in einer Lebensphase, in der sie glauben, keiner könne ihn mehr etwas vormachen, oder?
Ernst nehmen – und ernst machen. Fünf Tipps für den Alltag
- 1. Konflikten nicht aus dem Weg gehen.
- Teenager setzen ihren Eltern zwar ständig Widerstand entgegen, sie suchen aber auch deren Autorität. Wer Grenzen setzt, muss auch darauf bestehen, dass sie eingehalten werden.
- 2. Die Beziehung nicht abbrechen lassen.
- Nichts schädigt das Eltern-Kind-Verhältnis nachhaltiger, als Väter und Mütter, die ihre Kinder wegen Unangepasstheit und „Ungehorsam“ aufgeben.
- 3. Immer im Gespräch bleiben.
- Keine Vorträge halten, sondern dem Jugendlichen auch zuhören. So erfahren Eltern mehr über das Leben und die Gedanken des Heranwachsenden.
- 4. Blickwinkel anderer mit einbeziehen.
- Die beste Freundin, den besten Freund der Familie fragen oder den freundlich zugewandten Patenonkel: Wie siehst du mein Kind? Welche Veränderungen sind dir positiv an ihm aufgefallen?
- 5. Verantwortung abgeben.
- Der Sohn plant die erste Radtour übers Wochenende? Die Tochter den Konzert-Besuch in der Großstadt? Dann sollen sie das auch alleine planen und durchziehen. Eltern bleiben im Hintergrund. Helfen, wenn sie gefragt werden.
Weitere Infos
Links:
- Tipps und Beratung für Jugendliche
Webseiten der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke)
www.bke-jugendberatung.de - Rat für Eltern
Webseiten der bke-Elternberatung
http://www.bke-elternberatung.de -
Buchtipps:
- Jan-Uwe Rogge: Pubertät: Loslassen und Haltgeben. Rowohlt Taschenbuch 2001, 223 Seiten, 8,95 Euro. ISBN 978-3499609534
- Wolfgang Bergmann: Disziplin ohne Angst. Beltz & Gelberg 2007, 184 Seiten, 17,90 Euro. ISBN 978-3407858986
- Gabriele Haug-Schnabel, Nikolas Schnabel: Pubertät. Eltern-Verantwortung und Eltern-Glück. Wie Sie Ihr Kind beim Erwachsenwerden begleiten. Oberstebrink Eltern-Bibliothek 2008, 218 Seiten, 22,80 Euro. ISBN 978-3934333352