Pubertät: Welcher Erziehungsstil ist günstig?
Wenn Kinder in die Pubertät kommen und sich häufig aufmüpfig und schlecht gelaunt zeigen, schwanken Eltern oft zwischen Wut, Nachgiebigkeit und Strenge. Welcher Erziehungsstil, welche Grundhaltung hilft in dieser aufregenden Zeit wirklich weiter?
Wieviel Erziehung brauchen Pubertierende?
Bis zum Teenager-Alter kommen die meisten Eltern mit ihren Erziehungs-Grundsätzen im Alltag gut über die Runden. Doch egal, ob sie sich nun als Partner der Kinder verstehen oder als autoritäre Instanz, die auf die Einhaltung bestimmter Regeln achtet – mit Anbruch der Pubertät wird alles anders. Da müssen sich Kumpel-Eltern plötzlich als Weich-Eier beschimpfen lassen. Oder die Vorschriften strenger Eltern werden permanent in Zweifel gezogen oder missachtet. Kinderpsychologen und Erziehungsberater empfehlen ohnehin statt dieser beiden Extreme eher den „autoritativen“ Erziehungsstil. Das heißt, den Kindern in einer Mischung aus Wertschätzung und emotionaler Unterstützung zu begegnen, sie aber auch zu fordern. Dem Nachwuchs wird Eigenständigkeit zugestanden, er bekommt aber auch seine Grenzen aufgezeigt. Eine positive emotionale Beziehung muss natürlich schon weit vor der Pubertät aufgebaut werden. Sie ist dann eine gute Voraussetzung dafür, dass Kinder sich mit ihren Problemen und Ängsten auch in schwierigen Zeiten an die Eltern wenden.
Die urbia-Reihe zur Pubertät:
Über den Umgang mit Regeln
Es klingt zwar etwas altmodisch, doch Regeln und damit Grenzen, sofern sie denn realistisch und für alle Parteien nachvollziehbar vereinbart worden sind, bieten Orientierung und Halt. Dazu müssen Eltern mit ihren Kindern im Gespräch bleiben und wissen, was den Nachwuchs gerade bewegt. Es kann auch nicht schaden, wenn Eltern ihr Erziehungsverhalten hin und wieder kritisch überprüfen. Schließlich haben sie ja ständig einen Balanceakt zu vollführen. Einerseits sollen sie die Freiheitsansprüche und die Meinung der Teenager respektieren, andererseits dürfen sie nicht alles billigen. Sich bei der Abwägung auf immer neue Machtspiele einzulassen, bringt beiden Seiten nichts ein. Vielmehr sollten Eltern und Kinder gemeinsame Regeln – etwa zum Medienkonsum – diskutieren und beschließen, samt den Konsequenzen bei Verstößen. Und sich in Zweifelsfällen auch nicht scheuen, professionelle Unterstützung, zum Beispiel durch eine Erziehungsberatungsstelle, in Anspruch zu nehmen.
Was aber tun, wenn der Sohn oder die Tochter gegen Regeln verstößt? Auf keinen Fall ignorieren, sonst werden Eltern unglaubwürdig. Die Grenzen verlieren dann ihre Gültigkeit und die Überschreitungen nehmen zu. Haben Eltern und Kinder vorher über mögliche Konsequenzen gesprochen, ist es jetzt Aufgabe der Eltern, sie auch durchzusetzen. Der Familienberater und Autor Jan-Uwe Rogge rät in seinem Buch „Pubertät – Loslassen und Haltgeben“, dabei durchaus auch zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen. Wie zum Beispiel dem „Zaubersack“, der beim weit verbreiteten Kampf gegen das Chaos im Jugendzimmer helfen kann: Im „Zaubersack“ landen Kleidung, Bücher und anderer Kram, den die Kinder auch nach zweimaliger Aufforderung nicht weggeräumt haben. Der Sack wird gut versteckt, die Dinge darin nur dann zurückgegeben, wenn sie sofort weggeräumt werden.
Stundenlange Diskussionen bringen nichts
Die meisten Eltern lassen sich beim Thema Regeln aber auf stundenlange Diskussionen ein. Sie schwanken dabei zwischen Wut und Verständnis, Großzügigkeit und Strenge. „Versuchen Sie bloß nicht, es ihrem Pubertierenden recht zu machen. Das ist unmöglich“, meint der Familienberater und Buchautor Jan-Uwe Rogge. Denn um unabhängig und selbstständig zu werden, müssen sich die Jugendlichen von den Eltern als wichtigste Bezugspersonen lösen. Das führt zum Beispiel zu demonstrierter Gleichgültigkeit, zur Herabsetzung der Eltern als unnütz oder unfähig. Aufsässigkeit und Rebellion gegen die bisherigen Normen kommen vor und gelten nach Einschätzung von Psychologen als gesund und normal. Streit, das sollte vor allem gestressten Eltern klar sein, ist zur Ablösung erforderlich. Psychologen vertreten sogar die Meinung, dass eher konfliktarme Entwicklungen Anlass zur Sorge geben als konfliktreiche. Aufgabe der Eltern ist es vor allem, dennoch die Gesprächsbereitschaft aufrecht zu erhalten und so Halt anzubieten.
Entspannt reagieren und geduldig abwarten
Als erzieherische Grundhaltung empfiehlt der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann eine freundlich- entspannte Zurückhaltung gegenüber dem durcheinander gewirbelten Seelenleben der Pubertierenden. „Nach meiner Erfahrung sind vor allem solche Eltern hoch angesehen, die sich aus nicht lösbaren Konflikten zurückziehen“. Wie das in der Praxis aussehen kann, schildert Annette Fußangel, Mutter von 13-jährigen Zwillingsmädchen. Sie reagiert auf heruntergezogene Mundwinkel und Dauergemeckere nach Schulschluss so: Anstatt die üblichen Fragen nach dem Warum und Wieso zu stellen, wählt sie lieber folgenden Standardspruch: „Mir geht es heute richtig gut. So wie du guckst, hattest du Stress in der Schule. Das tut mir zwar leid – ist aber nicht mein Problem.“ Die Kinder bleiben danach noch eine Weile maulig, kommen aber irgendwann doch zu ihr und wollen über ihre Probleme reden. „Ich lass mich halt nicht mehr von ihrer schlechten Laune anstecken, das macht mich wesentlich gelassener“, so Annette Fußangel.
Erstaunlicherweise genießen gerade Eltern, die – verglichen mit den üblichen Erziehungskonventionen – egoistisch wirken, den meisten Respekt. „Ihre unerschütterliche Ruhe fasziniert und bietet Orientierung. Den suchen die Pubertierenden ja auch, denn sie wollen gar nicht gleichberechtigt sein“, erklärt Wolfgang Bergmann. Wer sich stattdessen als Erwachsener in die unzähligen Konflikte dieser Phase verstricken lässt, wird nicht als stark sondern als gleichberechtigt erlebt. Haben Eltern dagegen eine innere Distanz gefunden, ist die Chance groß, dass die Kinder sie gerade deshalb als Ratgeber suchen.
Unersetzlich: Ein gutes Vorbild sein
Die Strategie des Sich-Heraushaltens bedeutet aber nicht, die Kinder ins offene Messer rennen zu lassen und hinterher den Klügeren zu spielen. Wichtig ist bei aller Gelassenheit aber, dass die Kinder nicht das Gefühl gewinnen, sie seien ihren Eltern gleichgültig. Auch wenn es dadurch immer wieder zu Reibungen kommt, brauchen die Teenager nach wie vor klare Ansagen, die Orientierung liefern und Sicherheit vermitteln. Zuviel Liberalität kann auch überfordern. Einem 14-jährigen nicht klar zu sagen, wann er wieder zuhause sein muss, wird nicht unbedingt als Großzügigkeit der Eltern verstanden, sondern womöglich als Gleichgültigkeit ausgelegt. Und doch ist es in vielen Situationen besser, geduldig abzuwarten, dass Sohn oder Tochter um Hilfe bitten, als sie ständig zu korrigieren und zu kontrollieren.
Eltern helfen ihren Kindern auf Dauer schon allein dadurch, dass sie ihnen im besten Sinne vorleben, wie man trotz diverser Probleme sein Leben im Griff haben kann, seinen Beruf mit Spaß ausfüllen und zufrieden sein kann. Schließlich sind auch für Erwachsene meist die Menschen am interessantesten, die eine gewisse Zufriedenheit, Integrität oder gar Erfüllung im Leben ausstrahlen. Absolut fatal ist es hingegen, wenn Eltern aus falsch verstandener Solidarität mit dem Nachwuchs oder Jugendwahn den neuesten Trends hinterher rennen. Denn kindliche Schwärmereien werden Erwachsenen als Schwäche ausgelegt. Kinder brauchen erwachsene Eltern. Solche, die ihren Platz im Leben gefunden haben. Die gelassen, selbstsicher und humorvoll sind und nicht versuchen, sich mit ihren Kindern auf eine Stufe zu stellen. Denn wenn sich die Kinder weiter entwickeln, lassen sie ihre Eltern dort zurück.
Als Mama und Papa jung waren
Wenn Eltern schon früh eine Gesprächskultur in der Familie pflegen und dabei auch über eigene Emotionen, Stärken und Schwächen sprechen, bleiben sie nah dran am Erleben und der Gefühlswelt ihrer Kinder. „Mit elf, zwölf Jahren haben mich meine Mädchen gefragt, wann ich zum ersten Mal verliebt war – und ob ich damals auch so viel Stress mit meinen Eltern hatte. Ich hab’ Ihnen dann von früher erzählt und sie haben das alles aufgesaugt wie die Schwämme“, lacht Annette Fußangel. Kein Wunder: Wenn Pubertierende erfahren, dass ihre Eltern die gleichen Probleme hatten, fühlen sie sich mit ihren Schwierigkeiten ernst genommen. Solche Gespräche zeigen auch, dass Selbstzweifel, wechselnde Launen und schlechte Stimmung auch schon die Teenager vor zwanzig, dreißig Jahren durchmachen mussten und normal sind. „Ich habe aber auch vom Erzählen der alten Geschichten profitiert. Auf einmal stand ich wieder als kleines, pickliges Mädchen vor mir, mit all seinen Komplexen und Problemen. Das hat mich meinen Töchtern wieder näher gebracht“, erzählt die 46-Jährige Mutter.
Weitere Infos
Links:
- Tipps und Beratung für Jugendliche
Webseiten der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke)
www.bke-jugendberatung.de - Rat für Eltern
Webseiten der bke-Elternberatung
http://www.bke-elternberatung.de -
Buchtipps:
- Jan-Uwe Rogge: Pubertät: Loslassen und Haltgeben. Rowohlt Taschenbuch 2001, 223 Seiten, 8,95 Euro. ISBN 978-3499609534
- Wolfgang Bergmann: Disziplin ohne Angst. Beltz & Gelberg 2007, 184 Seiten, 17,90 Euro. ISBN 978-3407858986
- Gabriele Haug-Schnabel, Nikolas Schnabel: Pubertät. Eltern-Verantwortung und Eltern-Glück. Wie Sie Ihr Kind beim Erwachsenwerden begleiten. Oberstebrink Eltern-Bibliothek 2008, 218 Seiten, 22,80 Euro. ISBN 978-3934333352